Weihnachtsnachlese:
Rettet die Fellatio!
Schrecklich:
wie immer zur Weihnachtszeit schneien viele kleine, meist bunte Büchlein
rein. Ach, wie haben wir genug von den «Kleinen Bettlektüren
für die gestresste Hausfrau», die Nase voll von Sauglattismus,
analen Phasen und «schönerem Leben mit dem kleinen Arschloch».
Lasst sie verrotten an den Kassen und greift statt dessen zu Sinnsprüchen
mit Substanz, die aus dem grossen Stapel hiermit fürs neueste Millennium
gerettet und heftigst angepriesen seien.
...«Im Biergarten: Unterm Baldachin
der Kastanien / Der Maßkrug klingt nah und fern / Diskurieren gmüatliche
Münchner / Wia D ’Dopedealer hi gmacht ghörn // Oana moant i
daads daschiaßn / Der andre is mehr für den Strick // Koa oanziger
is fürs Vergasen / Mei ham de Dopedealer Glück».
...Nicht schöngeistig-banal Gedichte,
sondern «German Poems», nennt Horst Tomayer seine hier versammelten
«fein assortierten Erst-, Zweit- und Dritt-Veröffentlichungen».
In wunderbaren Reimen – ab und zu auch bayrisch – kriegen deutsche Raser
und Fahrraddiebe, Hunde und Katzen ihr Fett ab. Es wird vor dem Aussterben
der Fellatio, dem Beziehungs-GAU an Allerheiligen und der Gewerkschaft
der Rüstungsarbeiter gewarnt. «Lass die Sau Sau sein für
einen Augenblick, Metzger» – und lies dies’ Buch!
Horst Tomayer, German Poems. Mit Zeichnungen von Ernst
Kahl, Edition Nautilus 1999, 120 Seiten.
Neuer Roman:
Alptraumhafter Sog
Ich gebe es zu, dies ist der erste Roman des Portugiesischen Nobelpreisträgers
José Saramago, den ich gelesen habe…und ich bin immer noch gefangen
von diesem Buch. Einen verregneten Sonntag lang tauchte ich ab in das Leben
eines Schreibgehilfen im Zentralen Personenstandsregister einer nicht benannten
Stadt, in einer Zeit nahe der heutigen und doch ganz fern. Der jahraus,
jahrein gleiche Trott des «Helden» Sr. José wird jäh
durchbrochen, als er beginnt einer Frau nachzuspüren, deren Karteikarte
durch Zufall in seine Hände gerät. Nichts, so scheint, es verbindet
ihn mit dem Namen, und wenig nur vermag er ausfindig zu machen über
sie. Angst durchzieht die Geschichte, Angst vor der allmächtigen Bürokratie
des Amts; in quälenden Selbstgesprächen durchforscht José
die Gefahren, die eine Befragung von Bekannten der Frau mit sich bringen.
Das Buch entfaltet einen unheimlichen atmosphärischen Sog. Wir begeben
uns in eine Parabel, ein Gleichnis, ohne zu wissen, was es bedeuten soll.
In den Beschreibungen dieser alptraumhaften und zugleich ganz bewusst-wahrgenommenen
Welt ist Saramago ein würdiger Erbe Franz Kafkas, dem in kleinen unscheinbaren
Anspielungen Tribut gezollt wird.
José Saramago, Alle Namen. Roman, aus dem Portugiesischen
von Ray-Güde Mertin, Rowohlt Verlag, 320 Seiten.
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