Die Welt ist kompliziert, Politik eine oft schwer
durchschaubare Angelegenheit. Und was ist die Rolle des einzelnen
Menschen in diesem Spiel? Was habe ich selbst damit zu tun? Fragen
über Fragen. Und so wenig Antworten. Die Vergangenheit: ein
Bild des Schreckens. Zwei Weltkriege in Europa; der Wahnsinn der
faschistischen Herrschaft in Deutschland von 1933 bis 45, der sechs
Millionen Jüdinnen und Juden vernichtete. Hundertausende von
Sinti und Roma (die sogenannten "Zigeuner"), Kriegsgefangene,
politische Gegner, Behinderte, etc. wurden in die KZ getrieben und
umgebracht. Doch wie sollen Worte das Grauen sichtbar machen, das
sich in den Lagern abspielte? Das mindeste ist, sich dafür
einzusetzen, dass wir nicht vergessen, was damals geschah.
Die Vergangenheit
geleugnet und umgedeutet
1994 haben die SchweizerInnen mit knapper Mehrheit (55%) dem Antirassismusgesetz
zugestimmt. Strafbar sind neben rassistischen Äusserungen
in der Öffentlichkeit insbesondere auch die Leugnung der
nationalsozialistischen Verbrechen. Eine kleine, aber aktive Schar
sogenannter "Revisionisten" betreibt aber weiterhin
ihr widerwärtiges Geschäft. Ihr Ziel ist die Normalisierung
der Vergangenheit: Vergasungen in den Konzentrationslagern habe
es nie gegeben und im übrigen hätten sich die "Juden
ihre Verfolgung selbst zuzuschreiben". Hätten sie doch
in einer Geheimkonferenz beschlossen, die "jüdische
Weltherrschaft" durch "Gewalt, Betrug und List"
zu erringen. Von dieser angeblichen Geheimkonferenz existiere
eine "Niederschrift", behaupten die Revisionisten.
Diese antisemitische (=judenfeindliche) Hetzschrift mit dem Namen
"Die Protokolle der Weisen von Zion" tauchte erstmals
anfang dieses Jahrhunderts in Russland auf. Sie ist ein überaus
widersprüchliches Machwerk, das alle möglichen Aussagen
vereint. Unter anderem nehmen sich die vermeintlichen Verfasser
vor, den Antisemitismus zu schüren, um die mittellosen Juden
auf ihre Seite zu bringen und bei den Nichtjuden ein Schuldgefühl
angesichts ihrer Not zu erzeugen.
Die "Protokolle" wurden 1919 ins Deutsche übersetzt
und übten grossen Einfluss auf Adolf Hitler aus. Sie wurden
zu einem Grundpfeiler der nationalsozialistischen Weltanschauung.
Als Fälschung wurde die Hetzschrift schon 1921 entlarvt.
Ein Journalist der Londoner "Times" wies nach, dass
die Protokolle wortwörtlich auf einer Satire auf Napoleon
III aus dem Jahre 1865 und einem Schauerroman aus der gleichen
Zeit basieren. In den 30er Jahren bestätigten Schweizer Gerichte
die Protokolle als Plagiat und Fälschung.* Trotzdem wurden
sie eines der Motive für Hitlers Kriegserklärung an
die "jüdisch-imperialistische Mächte". Und
heute dienen sie als "Beweis" dafür, dass die Juden
an ihrer Vernichtung selbst schuld seien.
Der "Grosse
Plan"
Van Helsing nimmt die "Protokolle" als Ausgangspunkt
seiner wahnwitzigen Konstruktionen. Für ihn ist es unwichtig,
ob es die jüdischen Bankiers oder die Zionisten (setzten
sich für einen Staat Israel ein) sind, die den Plan verfolgen.
"Egal, wer dahinter stehen mag, der Plan wird IM AUGENBLICK
ANGEWENDET." Sowohl der Kommunismus, als auch der Kapitalismus
seien von Geheimbünden inszeniert worden, um die Welt ins
Chaos zu stürzen; alle wichtigen Ereignisse der Geschichte
werden in dieser Weltsicht zu Schachzügen der "Illuminaten"
(=die Eingeweihnten). Immer wieder, wenn der Autor einer neue
Verstrickung geknüpft hat, beeilt er sich in "Anmerkungen
des Verfassers" den Vorwurf von Antisemitismus und Rechtsextremismus
abzuschütteln. Wenn er aber die okkulten Grundlagen des Nationalsozialismus
nachzeichnet, und alle möglichen Legenden anführt -
etwa die, dass Hiltler gar nicht tot sei -, so wird jeder Ansatz
einer wirklichen Auseinandersetzung mit der Geschichte im Keime
erstickt. Alles könnte möglich sein. Wirre Theorien
von Überlebenden eines arischen Urkontinents, die im Erdinnern
hausen, sind in den Augen des Autors keine Gehirngespinste von
Nazis, sondern durchaus ernstzunehmen. Genauso wie untertassenförmige
"Jenseitsflugmaschinen"... Dass heute, laut van Helsing,
sowohl Neonazis, wie die autome "Antifa" von den Illuminaten
finanziert werden, kann einen eigentlich nicht mehr überraschen.
Wenn der grosse Plan existiert, dann muss mit ihm alles erklärbar
sein.
Das Schicksal begreifen
lernen
Am Ende des ersten Bandes tischt uns van Helsing sein "Gegengift"
auf. Doch der Widerstand gegen die Machenschaften der Illuminaten
läuft auf esoterische Allgemeinplätze hinaus. Mit Bezug
auf "Autoritäten" wie Thorwald Detlevsen (Autor
des Buches "Schicksal als Chance") wird das gute alte
Grundprinzip "wie oben, so unten" genannt. Demnach gibt
es keinen Zufall. Alles ist Teil einer grossen kosmischen Ordnung,
die sich in jedem einzelnen Menschen spiegelt. Wer schlechte Gedanken
denkt, wird von ihnen heimgesucht. Eine Frau also, die Angst vor
einer Vergewaltigung hat, sendet damit einen "Befehl für
das Unterbewusstsein und den Kosmos" aus und der "wird
zu Hundert Prozent ausgeführt." Diese Theorie lenkt
völlig ab vom Vergewaltiger und schiebt alle Schuld der Frau
zu. Nach van Helsing haben wir uns unsere Schicksalsschläge
selbst "erarbeitet", meist in früheren Leben. Es
gilt das Gesetz der Wiedergeburt und das Gesetz des Ausgleichs:
Wem es in diesem Leben schlecht ergeht, büsst für Missetaten
früherer Leben. Wir müssen unser Schicksal nur begreifen
lernen. Wer sich etwa politisch und sozial engagiert, ist selber
schuld und verhindert womöglich, dass jemand sein Karma selbständig
abarbeiten kann...
Diese esoterischen "Lehren" laufen darauf hinaus, dass
in unserer Gesellschaft alles beim alten bleiben wird. Ausbeutung,
Hunger, Krieg - all das Üble, das nicht zuletzt Leuten wie
van Helsing neuen Stoff für wahnwitzige Verschwörungstheorien
liefern wird. Damit hätte der Kreis sich geschlossen... allerdings
kein Kreis der "kosmischen Harmonie", sondern der Dummheit.
* Nicht nur die "Protokolle der Weisen von Zion", sondern
eine grosse Anzahl anderer Mythen über die Vergangenheit
werden von kompetenten Fachleuten kritisch durchleuchtet in: Legenden,
Lügen, Vorurteile. Ein Wörterbuch zur Zeitgeschichte,
herausgegeben von Wolfgang Benz, dtv 1992.
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