Wo anfangen? Ja, eigentlich geht's oft um ganz verständliche Wünsche:
Jürgen würde sich gerne wieder mal flachlegen lassen. Fragt sich
nur von wem. Jürgen ist modern, internett und astrolog (Fische-Aszendent).
Schreibt das auch rein in seinen einsamen Hilferuf in die Newsgroups «de.alt.astrologie»
und wartet auf Antwort. Er will sich die Jungfrauen-Aszendenten fischen,
weil die GENAU GEGENÜBER seinem Aszendenten liegen. Gegenüber
im grossen weiten All und darum interessant, weil anders, Aber tja, wie
man reinruft, so schallt es heraus. Das ist wie Kotzen gegen den Wind.
Armer Jürgen – und die ganze Welt kann lesen, was ihm Heike schrieb.
«Ich bin Jungfrau Aszendent und finde Fische-Aszendenten eigentlich
weder interessant, noch kann ich sie als passende Ergänzung erfahren,
eher im Gegenteil... Bisher ist meine Erkenntnis noch nicht statistisch
abgesichert, da es sich momentan nur um eine Frau in meiner Umgebung handelt.
Im Allgemeinen habe ich meine (noch) unüberprüften Vorurteile
gegenüber Fische-Menschen: zu langweilig, zu wenig 'geistbetont',
einfach irgendwie nichts für mich. Gruss Heike.»
Heike geht offenbar dem beliebten Hobby der Astro- JüngerInnen
nach: dem Sammeln und Jagen nach Geburtstagen und – minuten. Immer
mehr Menschen wissen ihre Geburtsminute auswendig. Denn auf die
kommt es an. Bei Erstgebärenden dauert die Geburt zwar zwischen
1 und 24 Stunden, aber im Geburtsschein steht dann schon eine
genaue Zeit. Mit jedem Fische-Aszendenten, den sie kennenlernt,
kann Heike ihre Theorie verfeinern. Und es ist nicht so, dass
die Leute vorsichtig mit sich umgehen. Das Sternzeichen plappert
man aus – man hat's als Kind ja gelernt, als fünftes Wort
nach Mama-Papa-Pipi-Kaka: – Skorpion.
Gefährliche Waldbuben aus Österreich
Wenn Horoskope Wahres über einen Menschen aussagen, dann darum,
weil wir in diesem Wahnsystem aufwachsen und in die Schemen des Tierkreises
gedrängt werden. Wer das bezweifelt, soll mal bedenken, was die Erziehung,
die den Mädchen und Jungen unterschiedliche Rollen zuweist, für
Folgen hatte und hat. Frauen nahmen die ihnen anerzogene Frauenrolle als
natürlich an, Erst als sie begannen, die Voraussetzungen des Systems
zu hinterfragen, konnte die Emanzipation beginnen.
Wann emanzipieren wir uns von der Astrologie? Zur Zeit sieht es alles
andere als danach aus. Die Grenzen zwischen den astrologischen Laien und
den Fachleuten verschwimmen zusehends. Astrofirmen bieten Massen von Software
an. in den Newsgroups sammelt sich der Datenmüll – mit kleinen Lichtblicken
wie der folgenden Warnung: «Nehmen sie sich am 13.11.96 um die Mittagszeit
vor Österreichischen Waldbuben in acht!!!» Solche Ironie ist
selten; wenn ich mit Astrofreaks spreche, kann ich die geballte Kraft des
Universums spüren, die auf ihnen lastet ». »
Horoskope aus dem Computer
Astrologisches Wissen ist uralt, stammt aus einer Zeit, als der Mensch
unmittelbar mit dem Kosmos verbunden war, noch keine Robydog-Kästen
benötigte, ein Sklave noch ein Sklave und ein Herr noch ein Herr war
(und nur er ein Mensch). Dieses göttliche Wissen hat sich erhalten:
In den Sternen steht unser Schicksal geschrieben. Heutige Astrologinnen
sprechen nicht gerne von Schicksal, lieber reden sie von Entfaltungsmöglichkeiten,
Chancen.
Viele schustern sich ihre Kennt-nisse selbst zusammen, aber immer noch
boomt das Big Business: Wer bei einer Firma wie «Astrointelligence»
eine psychologische Horoskop-Analyse machen lässt, bekommt für
72.- Franken rund zwanzig Seiten Text, Errechnet und zusammengestellt von
einem Computerprogramm. «Sie brauchen andere Menschen – und die anderen
brauchen Sie ... » Schön, das wieder einmal zu erfahren, «aber
ein Grossteil des Lebens besteht aus kleinen Kompromissen», gilt
es zu bedenken. Wie wahr und tief. Niemals würden wir uns als lang-weilige,
wenig geistbetonte Fische bezeichnen lassen, schliesslich zahlen wir. Das
grosse Geschäft, das Horoskopfirmen wie «Astrodata» und
«Astrointelligence» ma-chen, ist deshalb vielleicht gar nicht
nur von Übel, weil die Kundin Königin ist. Das Berufsgelöbnis
des Deutschen Astrologenverbands verlangt etwa von seinen Mitgliedern,
sie sollen ihren KlientInnen «niemals etwas sagen, was sie innerlich
hemmt oder an ihrem Wohle hindert.»
Pluto ist Schuld an AIDS
Weniger menschenfreundlich sind die AstrologInnen, wenn sie ihre Weltanschauung
in Büchern wie etwa «Das Erotische und das Dämonische»
aus dem Verlag «Astrodata» darlegen. Da sinniert man über
die Schuld von Pluto an AIDS und gibt Weisheiten von sich wie: Betroffen
von AIDS seien die Leute, «die sich gefühlsmässig nicht
mehr berühren lassen. Umso heftiger muss dann die körperliche
Empfindung sein, die durch aggressive Penetration, z.B. Analverkehr oder
Heroinspritze, vollzogen wird.» Homosexuelle und Drogensüchtige
verweigern «die Wandlung undVeränderung durch die Bewegung.»
Also selber schuld ... ? Was sonst. Pluto im Mars weist darauf hin, «dass
die Sexualität auch eine seelisch verwandelnde Dimension beinhaltet,
der man sich nicht ungestraft entziehen kann.» Im gleichen Buch steht
auch geschrieben, dass Pluto den gestörten Ying-Yang-Pol in seiner
besonders krankmachenden Wirkung 1986 und 87 an den Tag gebracht hat, als
überdurchschnittlich viel über AIDS geschrieben wurde.
Man stösst also wieder ins gute alte esoterische Horn: Unser Los
haben wir uns selbst zuzuschreiben. Unsere Schuld liegt wenn nicht in diesem
Leben, dann in früheren begründet. Die Hauptbetroffenen von AIDS
in Afrika und Südamerika, die 'meist weder schwul noch drogenabhängig
sind, haben also anderes verbrochen.
Schön. Vielleicht würde es ja helfen, wir würden mit
einer Star Wars-Flotte und Laserkanonen den bösen Pluto pulverisieren.
Einfacher zu verwirklichen wäre allerdings die Idee, auf die mich
ebenfalls eine Astro-Newsgroup brachte (Ihr seid also selber schuld!).
Ob man auch für das Leben auf anderen Planeten Horoskope anfertigen
könnte, wurde da eifrig diskutiert. Ob wir nicht am besten all diese
Leute in ein Raumschiff packen und auf den Mond schicken, damit sie dort
ihre Theorien überprüfen können?
Buchtip
Harald Wiesendanger, Der Streit ums Horoskop, Aurum
Edition 2000
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