Wir sollten versuchen, schlechte politische Zeiten wenigstens
ohne verblödeten Kopf zu überstehen
Jutta Ditfurth
Als Casaubon, der Erzähler in Umberto Ecos Roman «Das Foucaultsche
Pendel» in den siebziger Jahren nach Italien zurückkehrt, muss
er feststellen, dass fast alle linken Buchhandlungen zu esoterischen Läden
mutiert sind. Die Welt des Okkulten und Magischen, die er in Brasilien
kennengelernt hatte, war nach Europa rübergeschwappt. Man las nicht
mehr Marx und Gramsci, sondern beschäftigte sich mit Schamanen, Rosenkreuzern,
Wiedergeburt und dem goldenen Zeitalter.
Und das Geschäft boomt weiter: In Zürichs größter
Buchhandlung findet frau zur Zeit fünfmal mehr Bücher in der
Sparte Esoterik als im Regal nebenan, wo die philosophischen Autorinnen
liegen. Im A-Bulletin, einem alternativen Blättchen, das im redaktionellen
Teil sehr kritisch über die Endlagerung von radioaktiven Abfällen
berichtet, findet sich bei den Inseraten kein einziger politischer Kurs.
Dafür darf «meditativ gefastet» oder übers Feuer
gelaufen werden. Eine «Reinkarnationstherapie» oder ein intensives
«Enlightment» wird angeboten. Und Frauen können «im
Wald tanzen». Was steckt hinter diesem Boom, dem sich immer mehr
Leute anschließen, und was hat das mit der Zeit zu tun, in der wir
leben?
Madame Blavatskys «Geheimlehre»
«Esoterik» ist ein alter Begriff, der sich etwa als «die
innere, geistige Welt» im Gegensatz zur «Äußeren
materiellen Welt», der «Exoterik», umschreiben lässt.
Alle großen Religionen, wird in themenbezogenen Werken immer wieder
betont, haben ihre eigene «Esoterik». Im späten 19. Jahrhundert
ist um diesen Namen eine eigene Strömung entstanden. Die Esoterik
entzieht
sich der rationalen Auseinandersetzung. Ihre Ideologieelemente werden in
Zeremonien und Ritualen erfahren, nicht verstandesmäßig gelernt.
Die Anhängerinnen der Esoterik glauben, dass ein «New Age,)
bevorsteht. Die Menschheit sei an der Schwelle des Übergangs vom Fische-
zum Wassermannzeitalter. Wer sich intensiv mit sich selbst beschäftige,
die elitären esoterischen Regeln immer und immer wieder praktiziere
und fest an sie glaube, werde an diesem goldenen Zeitalter teilhaben.
Nebst verschiedenen Okkultzeitschriften hat vor allem eine Frau die
moderne Esoterik maßgebend geprägt: Helena Petrowna Blavatzky.
Sie hat in ihrem Buch «Die Geheimlehre» (1888) die wichtigsten
Elemente der modernen Esoterik dargelegt. Bei aller internen Zerstrittenheit
der verschiedenen Strömungen beziehen sich doch alle Jünger auf
diese Glaubenssätze. Es sind dies: Die Idee von Karma und Wiedergeburt,
die sogenannte «Wurzelrassenlehre» und die Vorstellung eines
herannahenden «Neuen Zeitalters».
Auschwitz als «Feuer der Reinigung»
Die hinduistische Kastenordnung vermengt sich mit sozialdarwinistischen
Evolutionismus. Jede Handlung wirkt in die Zukunft, Leid im Leben ist Ausdruck
eines schlechten Karmas und Konsequenz von Schuld in einem früheren
Leben. Diese Auffassung führt zur politischen Apathie, die sich bis
zum blanken Zynismus steigern kann. «Man darf sich nicht engagieren,
um nicht das Karma zu stören.» EsoterikerInnen machen sich wenig
Gedanken darüber: «Die Lehre von der Wiedergeburt ist die unbedingte
Konsequenz aus den Thesen des esoterischen Weltbetrachtung», schreibt
etwa H. D. Leuenberger in seiner Einführung «Das ist Esoterik»
aus dem Jahr 1985. Auf die Spitze treibt es die Anthroposophin Alice Ann
Bailey, die 1949 die Ermordung von sechs Millionen Juden im Nationalsozialismus
als «Feuer der Reinigung» rechtfertigte. Sie hätten da
ihr schlechtes Karma, den Gottesmord, «aufgearbeitet».
Rudolf Steiner entwickelte die Anthroposophie in enger Anlehnung an
die Theosophie Blavatzkys. Menschen unterscheidet er nach «Wurzelrassen».
Nach den ersten beiden menschlichen «Wurzelrassen» kamen die
Lemurier, die instinktiv handelten. Dann die «Atlantier», die
hatten eine solche «Lebenskraft», dass sie durch Gedankenkraft
«Korn zum Wachsen» bringen konnten und sich selbst in geringer
Höhe in «über dem Boden schwebenden Fahrzeugen, mit Pflanzensamen
angeheizt», fortbewegten. Aus den besten «Atlantiern»
wuchsen die «Arier». Erst sie haben «die vollständige
Ausprägung der denkenden Kraft, mit allem, was dazu gehört.»
Demnächst soll die sechste «Wurzelrasse), auftreten, deren Entstehungsort
die USA und deren Ausgangspunkt die «New Age-Bewegung» sein
könnte.
Steiner hielt trotz anderer, vergleichsweise «aufgeklärter»,
Ideen am theosophischen Rassismus fest und baute ihn durch deutschtümelnde
Äußerungen teilweise sogar aus. Den ersten Weltkrieg interpretierte
Steiner als internationale Verschwörung gegen die spirituelle Sendung
Deutschlands und den Krieg allgemein – in Jüngerscher Manier – als
«Lehrmeister der Spiritualität».
Heute werden Steiners Ideologien an gewissen Waldorfschulen sachte in
Frage gestellt. Es gibt Steiner-Schulen, an denen Eltern Einfluß
auf den Lehrinhalt nehmen können, antwortet der Esoterikexperte Eduard
Gugenberger auf die Frage, ob Eltern ihre Kinder weiterhin dorthin schicken
sollten. Doch fließt die Anthroposophie, als Geheimlehre, nur in
den Unterricht ein und wird nicht eigentlich gelehrt. «Es kommt»,
so Steiner, «nicht darauf an, die Lehren der Geisteswissenschaft
verstandesmäßig zu beherrschen, sondern Gefühl, Empfindung,
ja das ganze Leben mit ihnen zu durchdringen.» Dass an den staatlichen
Schulen – etwa im Biolologie-Unterricht – ebenfalls rassistisches Gedankengut
miteinfliesst, mache die Sache nicht besser, meint Gugenberger.
Die Anthroposophen wurden von den Nationalsozialistinnen von Anfang
an verfolgt, was von Steiner-Anhängern oft als Beweis für die
Fortschrittlichkeit dieser Lehre angesehen wird. Dieser Sachverhalt darf
aber nicht über die gemeinsamen Wurzeln der beiden Ideologien hinwegtäuschen.
Hitler ließ zudem viele seiner eigenen MitstreiterInnen und WegbereiterInnen
verfolgen und um bringen. So wurden große Teile der SA ausgeschaltet,
gerade, weil sie eine Konkurrenz innerhalb der Bewegung darstellten. Um
den Pakt mit den Kirchen nicht zu gefährden, trat in der NS-Ideologie
der Okkultismus nach der Machtübernahme in den Hintergrund.
Das Light Age – eine strahlende Zukunft
Es gibt EsoterikerInnen und Rechte, die sich gegen ökologische
Zerstörung und etwa die Kernkraft wenden. Für sie ist aber «das
falsche Denken» (ein «kranker Geist») und die angebliche
«Überbevölkerung» und niemals der Kapitalismus verantwortlich
dafür. Andere glauben gerade an die Beschleunigung der esoterischen
Evolution durch radioaktive Strahlung aus AKWs oder sogar Atomwaffenstandorten.
Die Findhorngesellschaft, die – wie die meisten großen esoterischen
Gemeinschaften – maßgebend von der Industrie gesponsort wird, errichtete
ihren Hauptsitz mit Absicht an einem Nato-Raketenstützpunkt in Schottland
und hält dort Seminare ab, b denen Kinder buchstäblich im atomar
verseuchten Sand wühlen.
Rainer Langhans, früher Mitbewohner der berühmten Kommune
1 in Berlin, meint zum Thema Gentechnologie: «Wenn du weiter oben
auf dem Baum sitzt [ ... ] siehst du den größeren Zusammenhang
und siehst: Es ist gut.» Vom Baum aus sieht er, wie «diese
rassischen Geschichten», die die Nazis «durch Ausrottungs-
und Züchtungstechniken» betrieben haben», heute mit den
«feinen Methoden der Gentechnologie» erreicht werden. «Unsere
Aufgabe müßte sein, hinter diesen ganzen Schreckensbildern ihren
utopischen Gehalt [ ... ] zu erkennen [ ... ] noch in den fürchterlichsten
Verzerrungen das Schöne zu entdecken [ ... ] Was will die Gentechnologie?
Sie will auf der grobstofflichen Ebene einen ‘neuen Menschen’ realisieren,
so schön wie irgend möglich.»
Langhans ist einer der vielen früheren Linken, die sich der irrationalen
bis faschistoiden Esoterik angeschlossen haben. Prominentestes Beispiel
ist Rudolf Bahro. Er saß im DDR-Knast, begann sich, nachdem er die
Grünen verlassen hatte, mit Spiritualismus zu beschäftigen und
kritisierte die «gesellschaftliche Unverbindlichkeit und Ziellosigkeit»
der Esoterik – sein politisches Ziel tendiert nach rechts: «Kein
Gedanke verwerflicher als ein neues anderes 1933? Gerade der aber kann
uns retten. Die Ökopaxbewegung ist die erste deutsche Volksbewegung
seit der Nazibewegung. Sie muss Hitler miterlösen.» Und Bahro
spitzt seine Aussagen zu: «Eigentlich ruft es in der Volkstiefe nach
einem grünen Adolf.»
Eine spiritistische Gegenkultur?
Gugenberger, der seit den siebziger Jahren in der Indianerbewegung
engagiert ist, lehnt Spiritualität nicht ab, sondern hält
sie in einer materialistisch orientierten Welt für nötig.
Den Naturvölkern, für deren Rechte er sich einsetzt,
hat man aber nach dem Land und den Rohstoffen nun auch noch die
Spiritualität geklaut. Kaum einer der «Schamanen»,
die Managerinnen zu einem inneren Gleichgewicht verhelfen, interessiert
sich für das Schicksal der Indianerinnen, die sich gegen
den Uranabbau auf ihrem Stammesgebiet wehren. Die Politisierung
der Esoterik findet von rechts statt. Gugenberger beklagt, dass
die dogmatische Arbeiterinnenbewegung um die Jahrhundertwende
die naturverbundene Festkultur, etwa die Fruchtbarkeitsriten und
die Walpurgisnacht, hinausgedrängt hat und plädiert
heute für eine Verbindung von Spiritualität und Vernunft.
Ob das bei dem -vor allem von diesem Autor herausgearbeiteten
Zustand der Esoterik heute möglich ist, wage ich zu bezweifeln.
Was zuallererst not tut, ist eine Kritik an den herrschenden Zuständen.
Es gibt die schnellen Lösungen nicht, die das «Neue
Denken» verspricht. Kein Mensch hungert weniger auf der
Welt, nur weil die Menschen darüber sprechen.
Jutta Ditfurth schreibt: «Die objektive Aufgabe der Esoterik besteht
heute wieder in der Umwandlung und Anpassung gegenkultureller Bewegungen,
die in Widerstand gegen die herrschenden Verhältnisse ausarten könnten
' an den Kapitalismus und seine Verwertungsnotwendigkeiten. Es geht nicht
um Naturbewusstsein, Magie und kosmischen Paradigmenwechsel, sondern um
Politik, Verblödung, Entpolitisierung, Anpassung und damit letztlich
um gar nicht übersinnliche Herrschaftssicherung.»
Felix Epper
(Der Text ist 1995 in der Tageszeitung «Berner Tagwacht»
und in der Wochenzeitung «Zürcher Studentin» erschienen.
Literatur:
Eduard Gugenberger, Roman Schweidlenka, Mutter Erde, Magie und Politik,
Zwischen Faschismus und neuer Gesellschaft, Nachdruck der Ausgabe von 1986.
Eduard Gugenberger, Macht der Sehnsüchte, Esoterik, Mythen und
Bewegungen, in: Widerspruch 26 / 1993
Jutta Ditfurth, Feuer in die Herzen, Plädoyer für eine ökologische
linke Opposition. Carlsen 1992
Ökologie und Spiritualität zwischen Nazifaschismus und herrschaftloser
Gesellschaft, Mehrteilige Serie im Radio LoRa, ausgestrahlt 1993, zu bestellen
bei LoRa, Postfach 765, 8026 Zürich.
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