Politik und Gesellschaft
Zurück zur Auswahl von Literatur im Netz
Den Kopf aufs Pflaster schlagen

Von |F|E|L|I|X|| E|P|P|E|R

Hundert Jahre Brecht und regelmässig volles Haus bei Benno Bessons Inszenierung von «Die heilige Johanna der Schlachthöfe». Wie geht man um in Zürich mit diesem marxistischen Stück um Armut und Ausbeutung, Widerstand und der Nutzbarmachunng einer Revolutionärin zur Besänftigung der Massen?

März 1998
 

«Als ich ‹Das Kapital› von Marx las, verstand ich meine Stücke.»
B.B. 1928.
Brecht schrieb – unterstützt von seinen «Mitarbeitern», u.a. Elisabeth Hauptmann – die «Johanna» in den Jahren 1929/30. Die Erfahrung des Crashs in New York veranlasste Brecht, Studien an den Börsen Berlins und Wiens zu betreiben. Anders als die vorangegangenen Arbeiten, etwa die «Jasager» oder die «Massnahme» ist die «Heilige Johanna kein abstraktes Lehrstück. Aber natürlich ist eine Menge von Brechts Marxlektüre auch in diesem Stück aufgegangen. Die Geschichte der Heilsarmistin Johanna Dark, die der «Armen Armut» kennenlernt und sich zur proletarischen Agiatorin wandelt und des Fleischkönigs Mauler mit den «zwei Seelen in seiner Brust» verblüfft auch heute noch. Keine widerspruchsfreie Welt, und keine einfache Wahrheit zeigt uns Brecht. Die Figur des Mauler wird in ihrer ganzen Dialektik von Profitgier und Mitgefühl – das eine gibt's nicht ohne das andere – in aller Pracht enfaltet. Die an Goethe und Schiller angelehnte Sprache überzeugt durch ihren Witz und entstellt die Figuren bis zur Kenntlichkeit. Verhandelt werden menschliche Schicksale – die aber beispielhaft für ein Allgemeines stehen. «Die heilige Johanna der Schlachthöfe» fand in Deutschland – wen verwundert’s – keinen guten Boden. Nach einer einmaligen Sendung einer Hörspielfassung im Berliner Rundfunk dauerte es 30 Jahre bis zur ersten Bühneaufführung. In den letzten Jahren der Weimarer Republik prallten die gesellschaftlichen und politischen Gegensätze auch in der Kulturwelt mit aller Wucht aufeinander. In Erfurt etwa unterbrach die Polizei eine Aufführung der «Massnahme» und machte dem Veranstalter einen Hochverratsprozess. Noch haben die Faschisten die Macht nicht ergriffen, doch der Kampf wird schon auf offener Strasse ausgetragen. Denoch erstaunt – und erschüttert – die Gewalttätigkeit in Brechts Theater dieser Zeit noch immer. Wie in der umstrittenen «Massnahme», wo ein junger Genosse wegen seiner Unfähigkeit – er liess sich von Mitgefühl leiten, statt im Sinne der Partei zu handeln – schliesslich in seine eigene Hinrichtung einwilligt, wird in der «Heiligen Johanna der Schlachthöfe» an die Zuschauenden der Aufruf gerichtet, dafür zu sorgen, «dass ihr, die Welt verlassend / Nicht nur gut wart, sondern verlasst / Eine gute Welt.» Und Johanna später: «Darum wer unten sagt, dass es einen Gott gibt / Und kann sein unsichtbar und hülfe ihnen doch / Den soll man mit dem Kopf auf das Pflaster schlagen / Bis er verrreckt ist.» Wie geht man heute mit solcher «Moral» um? Ignorieren? Diffamieren? Das Schauspielhaus Zürich engagiert den ehemaligen Brechtmitarbeiter Benno Besson und Zürich hat sein Theaterereignis.

Wie aktuell Brechts Stücke und gerade «Die heilige Johanna» in den Zeiten von Massenarbeitslosigkeit, Megafusionen und Globalisierung heute doch seien, säuselt es durch den bürgerlichen Blätterwald. Doch die Arbeitslosen stauen sich nicht in den Strassen, das Unglück kommt immer noch scheinbar wie der Regen und heisst freie Marktwirtschaft; niemand schlägt die VeranstalterInnen der Esoterik-Messer «Lebenskraft» mit dem Kopf auf das Pflaster, und die BildungsbürgerInnen gehen ins Theater. Natürlich betreiben die Medien mit ihrer Berichterstattung vornehmlich Standortmarketing: Zürich die Kulturstadt. Und mit der Inszenierung Benno Bessons lässt sich geschickt der Bogen zur grossen Zeit des Schauspielhauses in den vierziger Jahren, auf die man heute so stolz ist, schlagen. Nach der Premiere kann das Feuilleton dann mäkelen, das Stück sei zu schnell, zu marionettenhaft gespielt worden, oder beklagt gar wie die NZZ, man wisse am Ende nicht mehr, als man zu Beginn des Abends schon gewusst habe: «Metzger bleibt Metzger.» (Was wäre es denn, was sie Neues hätten wissen wollten...?) 

Die Bank Leu wünscht den TheaterbesucherInnen im Schauspielhaus-Magazin «königliche Unterhaltung»; schlägt man die Zeitung auf, so prangen in grossen Lettern Johannas Schlussworte «Es hilft nur Gewalt, wo Gewalt herrscht, und es helfen nur Menschen, wo Menschen sind!» Den unmittelbar vorangehenden Satz mit dem Schlagen der Köpfe aufs Plaster mochte man nicht zitieren. In der Inszenierung fällt er natürlich. Beiläufig, wie eigentlich alles Reden in diesen zweieinhalb Stunden, verfremdet, gebrochen alle Figuren, die Arbeiterführer mutlos, als wüssten sie schon von Scheitern des realsozialistischen Experimentes, Johannas Wortschwall der Empörung oft gerade noch gut für einen Lacher – Katharina Thalbach als Johanna und Samuel Fintzi als Pierpont Mauler erhalten am Ende langanhaltenden warmen Applaus – und immer die Gewissheit vermittelnd, wie wenig engagiertes Theater heute vermag. Alles Gründe, sich die «Heilige Johanna» nicht anzusehen? Eine müssige Frage für politisch Interessierte und Engagierte!

Felix Epper
 

Nach oben