«Als ich ‹Das Kapital› von Marx las, verstand ich
meine Stücke.»
B.B. 1928.
Brecht schrieb – unterstützt von seinen «Mitarbeitern»,
u.a. Elisabeth Hauptmann – die «Johanna» in den Jahren 1929/30.
Die Erfahrung des Crashs in New York veranlasste Brecht, Studien an den
Börsen Berlins und Wiens zu betreiben. Anders als die vorangegangenen
Arbeiten, etwa die «Jasager» oder die «Massnahme»
ist die «Heilige Johanna kein abstraktes Lehrstück. Aber natürlich
ist eine Menge von Brechts Marxlektüre auch in diesem Stück aufgegangen.
Die Geschichte der Heilsarmistin Johanna Dark, die der «Armen Armut»
kennenlernt und sich zur proletarischen Agiatorin wandelt und des Fleischkönigs
Mauler mit den «zwei Seelen in seiner Brust» verblüfft
auch heute noch. Keine widerspruchsfreie Welt, und keine einfache Wahrheit
zeigt uns Brecht. Die Figur des Mauler wird in ihrer ganzen Dialektik von
Profitgier und Mitgefühl – das eine gibt's nicht ohne das andere –
in aller Pracht enfaltet. Die an Goethe und Schiller angelehnte Sprache
überzeugt durch ihren Witz und entstellt die Figuren bis zur Kenntlichkeit.
Verhandelt werden menschliche Schicksale – die aber beispielhaft für
ein Allgemeines stehen. «Die heilige Johanna der Schlachthöfe»
fand in Deutschland – wen verwundert’s – keinen guten Boden. Nach einer
einmaligen Sendung einer Hörspielfassung im Berliner Rundfunk dauerte
es 30 Jahre bis zur ersten Bühneaufführung. In den letzten Jahren
der Weimarer Republik prallten die gesellschaftlichen und politischen Gegensätze
auch in der Kulturwelt mit aller Wucht aufeinander. In Erfurt etwa unterbrach
die Polizei eine Aufführung der «Massnahme» und machte
dem Veranstalter einen Hochverratsprozess. Noch haben die Faschisten die
Macht nicht ergriffen, doch der Kampf wird schon auf offener Strasse ausgetragen.
Denoch erstaunt – und erschüttert – die Gewalttätigkeit in Brechts
Theater dieser Zeit noch immer. Wie in der umstrittenen «Massnahme»,
wo ein junger Genosse wegen seiner Unfähigkeit – er liess sich von
Mitgefühl leiten, statt im Sinne der Partei zu handeln – schliesslich
in seine eigene Hinrichtung einwilligt, wird in der «Heiligen Johanna
der Schlachthöfe» an die Zuschauenden der Aufruf gerichtet,
dafür zu sorgen, «dass ihr, die Welt verlassend / Nicht nur
gut wart, sondern verlasst / Eine gute Welt.» Und Johanna später:
«Darum wer unten sagt, dass es einen Gott gibt / Und kann sein unsichtbar
und hülfe ihnen doch / Den soll man mit dem Kopf auf das Pflaster
schlagen / Bis er verrreckt ist.» Wie geht man heute mit solcher
«Moral» um? Ignorieren? Diffamieren? Das Schauspielhaus Zürich
engagiert den ehemaligen Brechtmitarbeiter Benno Besson und Zürich
hat sein Theaterereignis.
Wie aktuell Brechts Stücke und gerade «Die heilige Johanna»
in den Zeiten von Massenarbeitslosigkeit, Megafusionen und Globalisierung
heute doch seien, säuselt es durch den bürgerlichen Blätterwald.
Doch die Arbeitslosen stauen sich nicht in den Strassen, das Unglück
kommt immer noch scheinbar wie der Regen und heisst freie Marktwirtschaft;
niemand schlägt die VeranstalterInnen der Esoterik-Messer «Lebenskraft»
mit dem Kopf auf das Pflaster, und die BildungsbürgerInnen gehen ins
Theater. Natürlich betreiben die Medien mit ihrer Berichterstattung
vornehmlich Standortmarketing: Zürich die Kulturstadt. Und mit der
Inszenierung Benno Bessons lässt sich geschickt der Bogen zur grossen
Zeit des Schauspielhauses in den vierziger Jahren, auf die man heute so
stolz ist, schlagen. Nach der Premiere kann das Feuilleton dann mäkelen,
das Stück sei zu schnell, zu marionettenhaft gespielt worden, oder
beklagt gar wie die NZZ, man wisse am Ende nicht mehr, als man zu Beginn
des Abends schon gewusst habe: «Metzger bleibt Metzger.» (Was
wäre es denn, was sie Neues hätten wissen wollten...?)
Die Bank Leu wünscht den TheaterbesucherInnen im Schauspielhaus-Magazin
«königliche Unterhaltung»; schlägt man die Zeitung
auf, so prangen in grossen Lettern Johannas Schlussworte «Es hilft
nur Gewalt, wo Gewalt herrscht, und es helfen nur Menschen, wo Menschen
sind!» Den unmittelbar vorangehenden Satz mit dem Schlagen der Köpfe
aufs Plaster mochte man nicht zitieren. In der Inszenierung fällt
er natürlich. Beiläufig, wie eigentlich alles Reden in diesen
zweieinhalb Stunden, verfremdet, gebrochen alle Figuren, die Arbeiterführer
mutlos, als wüssten sie schon von Scheitern des realsozialistischen
Experimentes, Johannas Wortschwall der Empörung oft gerade noch gut
für einen Lacher – Katharina Thalbach als Johanna und Samuel Fintzi
als Pierpont Mauler erhalten am Ende langanhaltenden warmen Applaus – und
immer die Gewissheit vermittelnd, wie wenig engagiertes Theater heute vermag.
Alles Gründe, sich die «Heilige Johanna» nicht anzusehen?
Eine müssige Frage für politisch Interessierte und Engagierte!
Felix Epper
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