Politik und Gesellschaft
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Migrations-
politische Aufklärung:
vom Nutzen der Illegalität

Von |F|E|L|I|X|| E|P|P|E|R

Seit 1991 liegt Max Frischs Olivetti Lettera im Landesmuseum (Waffensaal). Niklaus Meienberg, der dies schrieb, ist auch schon lange bleich u. tot. Und doch gibt es sie noch, die politische Aufklärung. Sie kommt nicht spektakulär daher, und ohne Personenkult, sondern halbjährlich als politische Zeitschrift. Die Rede ist vom «Widerspruch», der wieder einmal eine äusserst lesenswerte Nummer zum Thema Asyl und Migration vorlegt.

1999
 

In immer kürzeren Intervallen fordern die rechten Parteien der Schweiz eine Verschärfung der Asyl- und AusländerInnenpolitik. Kaum ist das neue Asylgesetz in Kraft, erfolgt der Ruf von Bundesrätin Ruth Metzler nach Notrecht und einer Senkung der Attraktivität der Schweiz. Gleichzeitig startet die Regierung eine PR-Kampagne in den USA, um das Image der Schweiz, das wegen der Rolle im Zweiten Weltkrieg Schaden genommen hat, aufzubessern. Dass man einerseits mit seinen Reizen geizt und andererseits die Visage mit einer Swiss Ethno-Show in Chicago aufmotzt, ist nur für eine Minderheit irritierend. Und eigentlich haben die Leute ja Recht, welche hier nicht Widersprüche sehen, sondern eine kohärente Politik.

368 Tote an der Grenze!
Das laut verkündete Ziel, mit der Verschärfung der AusländerInnenpolitik die Zuwanderung zu vermindern, wird nicht erreicht. «Grenzen sind», schreibt Christof Parnreiter mit Blick auf die Grenze zwischen Mexiko und die USA, «nicht so sehr als Barrieren, sondern als Mechanismus zur Reproduktion der Ungleichheit der internationalen Arbeitsteilung» zu verstehen. «Nicht die Zahl der Zuwanderer wird reguliert, sondern ihr rechtlicher Status.» Die Folgen der Abschreckungspolitik, für die der «Immigration and Naturalization Service» 1998 vier Mrd. US-Dollar pro Jahr ausgab, sind für immer mehr MigrantInnen tödlich.

Je nach Quelle starben im Jahre 1998 zwischen 254 und 368 Menschen beim Versuch die Grenze ohne die dazu erforderlichen Papiere zu überqueren. In den USA sind die in zahlreiche Kategorien geschiedene AusländerInnen in einem Zustand der Rechtsunsicherheit bis Rechtlosigkeit, was sie gegenüber der Willkür von Arbeitgebern, inländischen Arbeitskräften und Behörden besonders verwundbar macht. Die 1994 in einer Volksabstimmung beschlossene, aber nicht durchgesetzte «Proposition 187», welche nicht dokumentierten ImmigrantInnen z.B. eine Behandlung im Krankenhaus verweigerte, wie eine Studie der University of California belegt, hätte den «ironischen» Effekt, dass die Nachfrage nach illegalen Arbeitskräften weiter steigen würde.

Die Einsicht in diese Mechanismen hat in den amerikanischen Gewerkschaften zu neuen Ansätzen multikultureller Organisierung geführt. Im Widerstand gegen die «Proposition 187» spielten eingebürgerte ImmigrantInnen erstmals eine wichtige Rolle. Boy Lüthje und Christoph Scherrer stellen verschiedene Vorgehensweisen der Gewerkschaften fest. Eher traditionell ist der Versuch die legalisierten AusländerInnen als Gewerkschaftsmitglieder zu gewinnen und ihnen Unterstützung bei der Erlangung des Bürgerrechts zu geben. Mit der Unterstützung von «Illegalen» und ihrer Selbstorganisierung im Rahmen aussergewerkschaftlicher Strukturen und dem gemeinsamen Arbeitskampf von «Legalen» und «Illegalen» für Tarifverträge, finden sich aber neue Ansätze. Noch ist der Widerstand gegen die Erneuerung stark – Lüthje und Scherrer erinnern an die lange rassistische Tradition der US-amerikanischen Gewerkschaften –, doch im Zuge der Amerikanisierung der Ökonomie in Europa kann man schon jetzt in Europa aus den amerikanischen Erfahrungen lernen. ImmigrantInnen «verhalten sich keineswegs als willige LohndrückerInnen, wenn die Gewerkschaften die soziale Selbstorganisierung [...] unterstützen.»

Mit High-Tech gegen Flüchtlinge
Die meisten der Beiträge im neuen Widerspruch sind frei vom Moralismus, mit dem die Linke hierzulande nur zu oft in der Ausländerfrage auftritt. Oft sprechen die Fakten für sich selbst, wie etwa in Helmut Dietrichs Ausführungen über den Zusammenhang von europäischer Flüchtlingspolitik und dem NATO Krieg gegen Jugoslawien. «Task Forces», Arbeitsgruppen und Konferenzen entwickelten eine überaus rege Tätigkeit. Mit betriebswirtschaftlichen Konzepten – etwa dem «benchmarking», dem systematischen institutionellen Lernen von den Staaten, welche die effizientesten Praktiken entwickelt haben ­– werden inhaltliche oder politische Alternativen zur Abschottung ausgeblendet. Der Schengener Exekutivausschuss beschliesst, dass auch ausserhalb der EU mit Schleierfahndung auf Transitstrecken Flüchtlinge aufgegriffen werden sollen. Es sollen Datenbanken u.a. mit den Fingerabdrücken aller oder möglichst vieler AlbanerInnen angelegt werden. All das sind nur kleine Details der Allmachtsfantasien von EU und NATO. In dem Zusammenhang erinnert Marie-Claire Caloz-Tschopp daran, dass das Nicht-EU-Land Schweiz mehr als einmal Modelle und Instrumente erfunden hat, die später anderswo übernommen wurden. Auch in der Schweiz soll nun die Ausweisung koordiniert werden. Die Arbeitsgruppe «Wegweisungsvollzug», peinlicherweise unter SP-Vorsitz (Der Solothurner Regierungsrat Rolf Ritschard neben Jean Daniel Gerber vom BFF) droht den Kantonen, welche die «Wegweisung der auf ihrem Gebiet lebenden Asylbewerber nicht schnell genug vollziehen.» Die Reaktionen aus der Waadt und Genf darauf waren teilweise überaus heftig.

Sackgasse Migration
«Was von Arbeitslosen hier in den EU-Ländern selbstverständlich gefordert wird – immer längere Weg auf der Suche nach Arbeit zurückzulegen –, gereicht einem kurdischen Flüchtling, der noch viel längere Strecken hinter sich bringen musste in der Hoffnung auf eine meist schlecht bezahlte Arbeit, nur zu wüsten Vorwürfen.» Joerg Dietziker bringt es in seinem Artikel über den Zusammenhang von Schweizer Exportwirtshaft und der Vertreibung der Kurdischen Bevölkerung in der Türkei auf den Punkt.

Wer an den Zusammenhängen von Globalisierung, Flüchtlingspolitik und Migration interessiert ist – oder sich hier engagiert –, kommt an der aktuellen Nummer des «Widerspruchs» nicht vorbei. Weitere Artikel befassen sich mit der aktuellen Debatte um Staatsbürgerrecht und Integration (Gianni D'Amato und Immanuel Wallerstein, für den als Fazit «die gesamte Diskussion um Integration und Marginalisierung in eine Sackgasse geführt hat, aus der es keinen Ausweg gibt.»

Ein provokative These, die man gerne diskutiert sähe. Marginalien und Beiträge von im Migrationsbereich tätigen Gruppen (u.a. das Unterstützungskommitee für Sans-Papiers und «augenauf») runden das Heft ab, das man gerne auf dem Arbeitstisch seines Bundes-, Regierungs- oder Stadtrates sähe und nicht nur im Archiv der politischen Polizei.

Felix Epper

Widerspruch 37: Flüchtlinge, Migration und Integration. 21 Fr.. Im Buchhandel oder «Widerspruch», Postfach, 8026 Zürich



 

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