In immer kürzeren Intervallen fordern die rechten Parteien
der Schweiz eine Verschärfung der Asyl- und AusländerInnenpolitik.
Kaum ist das neue Asylgesetz in Kraft, erfolgt der Ruf von Bundesrätin
Ruth Metzler nach Notrecht und einer Senkung der Attraktivität
der Schweiz. Gleichzeitig startet die Regierung eine PR-Kampagne
in den USA, um das Image der Schweiz, das wegen der Rolle im Zweiten
Weltkrieg Schaden genommen hat, aufzubessern. Dass man einerseits
mit seinen Reizen geizt und andererseits die Visage mit einer
Swiss Ethno-Show in Chicago aufmotzt, ist nur für eine Minderheit
irritierend. Und eigentlich haben die Leute ja Recht, welche hier
nicht Widersprüche sehen, sondern eine kohärente Politik.
368 Tote an der
Grenze!
Das laut verkündete Ziel, mit der Verschärfung der
AusländerInnenpolitik die Zuwanderung zu vermindern, wird
nicht erreicht. «Grenzen sind», schreibt Christof
Parnreiter mit Blick auf die Grenze zwischen Mexiko und die
USA, «nicht so sehr als Barrieren, sondern als Mechanismus
zur Reproduktion der Ungleichheit der internationalen Arbeitsteilung»
zu verstehen. «Nicht die Zahl der Zuwanderer wird reguliert,
sondern ihr rechtlicher Status.» Die Folgen der Abschreckungspolitik,
für die der «Immigration and Naturalization Service»
1998 vier Mrd. US-Dollar pro Jahr ausgab, sind für immer
mehr MigrantInnen tödlich.
Je nach Quelle starben im Jahre 1998 zwischen 254 und 368 Menschen
beim Versuch die Grenze ohne die dazu erforderlichen Papiere
zu überqueren. In den USA sind die in zahlreiche Kategorien
geschiedene AusländerInnen in einem Zustand der Rechtsunsicherheit
bis Rechtlosigkeit, was sie gegenüber der Willkür
von Arbeitgebern, inländischen Arbeitskräften und
Behörden besonders verwundbar macht. Die 1994 in einer
Volksabstimmung beschlossene, aber nicht durchgesetzte «Proposition
187», welche nicht dokumentierten ImmigrantInnen z.B.
eine Behandlung im Krankenhaus verweigerte, wie eine Studie
der University of California belegt, hätte den «ironischen»
Effekt, dass die Nachfrage nach illegalen Arbeitskräften
weiter steigen würde.
Die Einsicht in diese Mechanismen hat in den amerikanischen
Gewerkschaften zu neuen Ansätzen multikultureller Organisierung
geführt. Im Widerstand gegen die «Proposition 187»
spielten eingebürgerte ImmigrantInnen erstmals eine wichtige
Rolle. Boy Lüthje und Christoph Scherrer stellen verschiedene
Vorgehensweisen der Gewerkschaften fest. Eher traditionell ist
der Versuch die legalisierten AusländerInnen als Gewerkschaftsmitglieder
zu gewinnen und ihnen Unterstützung bei der Erlangung des
Bürgerrechts zu geben. Mit der Unterstützung von «Illegalen»
und ihrer Selbstorganisierung im Rahmen aussergewerkschaftlicher
Strukturen und dem gemeinsamen Arbeitskampf von «Legalen»
und «Illegalen» für Tarifverträge, finden
sich aber neue Ansätze. Noch ist der Widerstand gegen die
Erneuerung stark Lüthje und Scherrer erinnern an
die lange rassistische Tradition der US-amerikanischen Gewerkschaften
, doch im Zuge der Amerikanisierung der Ökonomie
in Europa kann man schon jetzt in Europa aus den amerikanischen
Erfahrungen lernen. ImmigrantInnen «verhalten sich keineswegs
als willige LohndrückerInnen, wenn die Gewerkschaften die
soziale Selbstorganisierung [...] unterstützen.»
Mit High-Tech
gegen Flüchtlinge
Die meisten der Beiträge im neuen Widerspruch sind frei
vom Moralismus, mit dem die Linke hierzulande nur zu oft in
der Ausländerfrage auftritt. Oft sprechen die Fakten für
sich selbst, wie etwa in Helmut Dietrichs Ausführungen
über den Zusammenhang von europäischer Flüchtlingspolitik
und dem NATO Krieg gegen Jugoslawien. «Task Forces»,
Arbeitsgruppen und Konferenzen entwickelten eine überaus
rege Tätigkeit. Mit betriebswirtschaftlichen Konzepten
etwa dem «benchmarking», dem systematischen
institutionellen Lernen von den Staaten, welche die effizientesten
Praktiken entwickelt haben werden inhaltliche oder
politische Alternativen zur Abschottung ausgeblendet. Der Schengener
Exekutivausschuss beschliesst, dass auch ausserhalb der EU mit
Schleierfahndung auf Transitstrecken Flüchtlinge aufgegriffen
werden sollen. Es sollen Datenbanken u.a. mit den Fingerabdrücken
aller oder möglichst vieler AlbanerInnen angelegt werden.
All das sind nur kleine Details der Allmachtsfantasien von EU
und NATO. In dem Zusammenhang erinnert Marie-Claire Caloz-Tschopp
daran, dass das Nicht-EU-Land Schweiz mehr als einmal Modelle
und Instrumente erfunden hat, die später anderswo übernommen
wurden. Auch in der Schweiz soll nun die Ausweisung koordiniert
werden. Die Arbeitsgruppe «Wegweisungsvollzug»,
peinlicherweise unter SP-Vorsitz (Der Solothurner Regierungsrat
Rolf Ritschard neben Jean Daniel Gerber vom BFF) droht den Kantonen,
welche die «Wegweisung der auf ihrem Gebiet lebenden Asylbewerber
nicht schnell genug vollziehen.» Die Reaktionen aus der
Waadt und Genf darauf waren teilweise überaus heftig.
Sackgasse Migration
«Was von Arbeitslosen hier in den EU-Ländern selbstverständlich
gefordert wird immer längere Weg auf der Suche nach
Arbeit zurückzulegen , gereicht einem kurdischen
Flüchtling, der noch viel längere Strecken hinter
sich bringen musste in der Hoffnung auf eine meist schlecht
bezahlte Arbeit, nur zu wüsten Vorwürfen.» Joerg
Dietziker bringt es in seinem Artikel über den Zusammenhang
von Schweizer Exportwirtshaft und der Vertreibung der Kurdischen
Bevölkerung in der Türkei auf den Punkt.
Wer an den Zusammenhängen von Globalisierung, Flüchtlingspolitik
und Migration interessiert ist oder sich hier engagiert
, kommt an der aktuellen Nummer des «Widerspruchs»
nicht vorbei. Weitere Artikel befassen sich mit der aktuellen
Debatte um Staatsbürgerrecht und Integration (Gianni D'Amato
und Immanuel Wallerstein, für den als Fazit «die
gesamte Diskussion um Integration und Marginalisierung in eine
Sackgasse geführt hat, aus der es keinen Ausweg gibt.»
Ein provokative These, die man gerne diskutiert sähe.
Marginalien und Beiträge von im Migrationsbereich tätigen
Gruppen (u.a. das Unterstützungskommitee für Sans-Papiers
und «augenauf») runden das Heft ab, das man gerne
auf dem Arbeitstisch seines Bundes-, Regierungs- oder Stadtrates
sähe und nicht nur im Archiv der politischen Polizei.
Felix Epper
Widerspruch 37: Flüchtlinge, Migration und Integration.
21 Fr.. Im Buchhandel oder «Widerspruch», Postfach,
8026 Zürich
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