Existenzfragen
V|O|N||
F|E|L|I|X|
|E|P|P|E|R
«Du musst mitmachen bei diesen Umfragen!»
Die Mahnung meiner Mutter im Ohr zögere ich noch kurz, lasse die freundliche
Stimme am Telefon eine Atempause lang warten. Die Frau am anderen Ende
der Leitung ist von «Isopublic» oder so was in der Art. «Die
Frage, ob dieser rechtsextreme Blocher in den Bundesrat
soll, kommt jedesmal», hatte meine umfragengestählte Mutter
beim letzten Kaffee- und Kuchen-Plausch gesagt. «Ein entschieden-verächtliches
– vernichtendes! – Nein unter Tausend Befragten ist ebensoviel wert wie
2’000 Wahlzettel.» – – – «Ja sicher habe ich Zeit», sage
ich und mache es mir für zwanzig Minuten bequem. Ich beantworte die
ersten Fragen zu Wasserfiltern – diesen hässlichen Dingern, die schon
so viele meiner Bekannten besitzen. «Nein. Nein. Nein. Kenne ich
nicht. Brauche ich nicht.» Ich denke unwillkürlich an Bukowskis
Held Chinaski, der sich einen runterholt, während er mit seiner Vorgesetzten,
die ihn mies behandelt, telefoniert. Ich lobe dann aber nur die hiesige
Trinkwasserqualität – Bestnote 7 –, denn niemand behandelt mich mies
und ich lass’ die Knöpfe der Jeans geschlossen. Ich antworte immer
so, als sei ich immun gegen die creative directors, die unablässig
neue Marken in mein Hirn hämmern wollen. – «Wer kauft bei ihnen
Mundwasser?» – «Alle Entscheide werden demokratisch gefällt,
aber Mundwaser, wissen Sie…» Die Frau und ihre freundliche Stimme
sind geduldig, und schon nach fünf Minuten ist der Blocher abgehakt.
«Raten Sie mal, was ich auf diese Frage antworte», lache ich
in den Hörer und lobe den Tortenanschlag auf SVP-Präsident Ueli
Maurer. Sie lacht auch ein wenig. Nun kann es entspannter weitergehen.
Etwa mit dem Jahr-2000-Problem. «Haben Sie Angst, dass in der Neujahrsnacht
Ihr Auto-Computer ausfällt?» – «Aber ja doch.» –
Decken Sie sich noch im alten Jahrtausend mit einem Vorrat an Kosmetika
ein?» – «Immer… » Ein schlechter Witz. Diese Umfrage
hat eindeutig ein Schwergewicht im Bereich Körperpflegeprodukte u.dgl.
Ohne Vorwürfe einstecken zu müssen, gestehe ich, dass ich keine
Steine in die WC-Schüssel hänge und in Griffweite weder Reinigungsmittel,
noch Feuchttücher habe. Auch die Marken kenne ich nicht. Die Frage,
ob ich in Zukunft entsprechende Produkte kaufen würde, fehlt hier
merkwürdigerweise. «Sie brauchen also nur Recycling-Papier»,
flötet die Stimme, die ich zu lieben beginne. Im privaten «TV3»,
so habe ich der «WochenZeitung WoZ» entnommen, hätten
sie kürzlich «in trockener Art und Weise» über Analsex
gesprochen. Hier in diesem Telefongespräch wäre ich bereit, alles
zuzugeben, leidenschaftlich und überzeugend, aber sie fragt nicht
mal nach der Dusche davor, und viel zu schnell geht’s weiter mit Familienpolitik
– die wär im Arsch hätten wir zuviel Analsex. Ich antworte überaus
korrekt und mit politischer Weitsicht. Und schon scheint die Umfrage zum
Showdown zu kommen: Thema Mundgeruch. Ich werde mir – vor eine Auswahl
von drei Antworten gestellt – klar darüber, dass mich Mundgeruch bei
einem Gespräch viel mehr stört als beim «Küssen»,
– da wurde die Stimme etwas leiser – oder beim «Sex» – ein
Hauch, wie das hingeschmaucht wird. «Sex». – «Sex…»
hallt es nach, wer stört sich an Mundgeruch, wenn wir es beide wollen?
Hilfe! Am Morgen erst Zähneputzen mit «Colgate» und dann
mit «Odol» sprudeln? Und zurück vom Bad mit leerem Kopf
und leeren Eiern, weil’s so vorausgeplant ausschaut, das mit der Lust und
es mich deprimiert, dir zu sagen: «Wirf die Munddusche an und dann
wird’s romantisch…» – «Sind Sie noch da? Haben Sie die Frage
gehört? – «Ja? Nein.» – «Ich habe gefragt: Sind
sie ein romantischer Mensch?» – «Wie meinen Sie…?» Zum
erstenmal bin ich perplex, winde mich, fühle mich unfähig, und
verweigere die Antwort, denn ich bin enttäuscht, als ich merke, dass
das nur wieder eine Frage vom Bogen ist. «Sie müssen nicht antworten.
Ich verstehe ihre Scheu.» Ich antworte nicht. «Wenn Sie sich
romantisch fühlen, was tun Sie dann?» – Ich höre das Wort
«Natur» und denke: «Einmal muss ich ’Ja’ sagen»
– «Blumen in die Vase tun? Eine Kerze anzünden…?» – «Nein,
Nein.» – «Wenn Sie sich romantisch fühlen, dann tun Sie
sich lieben?» Dieses Hilfsverb «tun» ist unvermeidlich
im Schweizerdeutschen, und so holprig geht’s auch beim Sex zu und her.
Hilflos versuch ich den Text wieder zurück auf die satirische Bahn
zu schieben. Sinnlos. Verdammte Sentimentalität! «Nein»,
sage ich, «Ich werde mich nicht lieben», und die schöne
Stimme der Unbekannten verabschiedet und bedankt sich. Mich, eine heulende,
abgehakte Nummer auf Ihrer Pendenzenliste, alleine zurücklassend.
(c) by Felix Epper
Fussnote für NichtschweizerInnen: Christoph
Blocher ist grob gesagt der Schweizer Haider, Präsident der Zürcher
SVP (Schweizerische Volkspartei und der Gruppe AUNS Aktion für eine
unabhängige und neutrale Schweiz), einflussreichster Rechter in der
Schweiz. // Update 2003: Nun trotz dieses Artikels in den Bundesrat gewählt!
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Interaktiver
Nachsatz |
1. «Würden Sie, in einen Zustand
wie der Held versetzt: a) ihre Mutter b) Isopublic oder c) die SVP-Parteizentrale
in anonymer und beleidigender Weise anrufen?»
2.Wieviele Knöpfe Ihrer Jeans (Levi’s
501) wären dann offen? a) keiner b) drei c) alle.
3.Hat diese Geschichte ein reales Telefongespräch
des Autors zur Vorlage?
a) Ja, nichts ist erfunden b) Nein, die Frage
nach der Kloputzfrequenz und nach allfälligen Sanktionen für
Männer, die im Stehen pissen, fehlt c) warum schreiben Sie solche
Sachen?
4. Nach diesem Text fühle ich mich?
a) belustigt b) traurig c) nicht mehr gepflegt.
Mail
to: felu@gmx.ch. Die Antworten werden auf
veröffentlicht und ausgewertet |
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