Vereinsamung
V|O|N
|I|L|S|E||
S|C|H|E|R|R
Das dezente, elegante
Grau, ein Schleier, mit dem sich Herberts große Liebe zu
umhüllen pflegt, fällt, weicht strahlenden Farbtönen.
Deutlich signalisiert sie Bereitschaft, noch besser ihre Ungeduld.
Herbert weiß um die explodierende Leidenschaft seiner stummen
Geliebten, sobald sie sich der Magie seine Hände ausliefert.
Wie immer fasziniert ihn ihr rasches, spontanes Reagieren. Zärtlich
bewegen sich die Kuppen seiner Finger, gleiten mit dem Wissen
des Feinfühligen über ihre makellosen Konturen. Doch
rasch werden seine Hände ruhelos, unruhig. Härter greift
er zu, nimmt sie mit dem Recht des Liebhabers. Herbert fühlt,
daß sie ihm gehört, wehrlos, willenlos, gefügig
und mit allem einverstanden, was er von ihr in jener Zwiesprache
fordert, die nur sie beide verstehen.
Herbert fühlt sich als Sieger.
Nach einer Weile stillen Nichtstuns
befällt ihn Leere. Ihre Stille stört ihn, diese Erhabenheit,
sobald er von ihr abläßt.
Daß er die geheim Geliebte
Mausi nennt, findet Herbert unlogisch und banal. Ein Kosename,
weiter nichts. Wäre er gerecht, korrekt und ehrlich, müßte
er sie Alekto nennen. Alekto paßt. Sie ist die gefüchtetste
aller Furien.
Mausi zerstört seinen Alltag,
trennt ihn von jener Frau, die ihn als sein Eigentum betrachtet,
ja, sogar unter seinem Dache wohnt. Sie hat sein sanftes, stets
zugängliches Wesen verändert. Er ist aggressiv geworden,
fordernd, mit einem starken Hang, sich abzusondern.
Mausi ist der Schlüssel zu seiner Verereinsamung, macht ihn
zum Einzelgänger. Wohl herrscht er über ihren Geist,
doch sie beherrscht sein Dasein. Erbarmungslos ist sie in ihrer
sanften Hingabe, wird hart und schroff, wendet er, der süchtig
ist nach ihr, sich auch nur wenige Augenblicke ab.
Herbert häutet sich langsam:
Unter der verschlissenen Schafwolle seines Innenlebens tritt borstiges
Wolfsfell zutage. Dabei hat er den Wandel zuerst gar nicht bemerkt.
Nur ein unruhiges Jucken ist ihm aufgefallen. Es zwingt ihn, zu
selektieren: Nur was für Mausi gut ist, dürfen seine
Augen registrieren. Nur, was ihrem stummen Sein nützlich
sein kann, hört er, ohne von diesem unerträglichen Juckreiz
befallen zu werden.
Mausi hat sich in seinem Hirn
eingenistet, in der Vorratskammer seiner Ahnungen. Sie ist sein
Echo, füllt ihn aus, grenzt ihn ein. Erbarmungslos hingegeben.
Aber jetzt – diese Leere ...
Herberts Gedanken verwirren sich
nicht, verirren sich bloß in Wortspielereien.
Herbert weiß, seine Geliebte
ist nicht die Furie Alekto. Sie ist das Spiegelbild seines Ichs.
Sie ist er. Er ist sie. Noch schlimmer: Sie ist ein Er!
Hart greift Herbert diesmal zu:
Dezent ist das elegante Grau,
mit dem sich Herberts Liebe zu umhüllen pflegt. Schon läßt
er diese Hülle zugunsten jener mystischen Farbmuster fallen,
die Herbert als Signale der Bereitschaft, der Ungeduld erkennt.
Zärtlich bewegen sich Herberts
Finger, gleiten mit dem Wissen des Feinfühligen über
die Konturen des Geliebten.
Doch dann – entschlossen drückt
Herbert zu – er muß dem ganzen ein Ende bereiten, sich befreien,
leben. Leben!
Ungerührt strahlt Mausi ihn
an, wortlos, aber verführerisch: „Windows 97, Microsoft
Word – wollen Sie das Programm wirklich beenden?“
Ilse Scherr
ist Österreicherin, schreibe nun das vierte Jahr Literarisches:
Kinderbücher, Jugendbücher, Theaterstücke,
Kurzgeschichten.
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