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Don't bogart that Joint
to bogart = die Zigarette nach der Art von Humphrey Bogart im Mundwinkel hängen und verglimmen lassen.
Gauloise rauchen nur noch die Nostalgiker, dachte Andrea, als er sich eine ansteckte. Großvaters Beerdigung: besser als das letzte Male, als er in einer Kirche saß. Jochen hatte sich zwar nicht auf die Straße gelegt wie damals an der Maturfeier, aber jeder Schweizer hat zu Hause ein Sturmgewehr und ein Urlaub immer lang genug dazu. Ein Zug der Zigarette genügte, und Andrea war elend. Er schenkte das Paket seiner Mutter, die sich gleich eine anzündete und auf dem Weg zum Friedhof Rauch verbreitete. Jochens ehemalige Lehrer waren schnell mit einer Erklärung da: Er habe schon früher Drogen genommen. Sie meinten Hanf, nicht seine Saufgelage in den Verbindungen, die ja von der Schule gefördert wurden, und wie! Andrea und Jochen saßen einmal nebeneinander in der Aula des Gymnasiums, wo man dieses anspruchsvollen Filme zeigte, die keiner verstand. Es gehörte zum guten Ton bei «Citizen Kane» nach zwanzig Minuten abzuhauen und sich dann die Kappe zu füllen. Heute war’s noch erstaunlich gut besetzt. Man zeigte «À bout de souffle» von Godard. Jochen ließ sich von Andrea die Szene erklären. «Jetzt kommt’s gleich. Belmondo geht durch die Straße und sieht an einem Kino ein Plakat hängen. War’s ‘The Big Sleep’?» – «Mann, seh’ ich doch selbst, Arschloch.» «Jetzt schau!» –«Bogey...» seufzt Belmondo auf der Leinwand. «Achte mal darauf, wie er fortan die Zigaretten raucht.» – «Er raucht keine Spur anders als vorher, Arschloch, Klugscheißer.» War Andrea ein Unmensch, weil er nicht weinen konnte, als man Jochens Urne versenkte. «Besser als mit diesem Kinderbagger, den sie bei den Erdbestattungen brauchten, und den Weihrauch vermisse ich gar nicht», war alles, was ihm in den Sinn kam. Teufel nochmal, diese Gauloise! Andreas Mutter wandelte wie eine Wolke gegen die Betonmauer, die jetzt im Winter kahl war und die Farbe des Himmels hatte. Auf einer Tafel neben dem Eingang standen eine Menge Verbote, Leinenzwang, oder gar keine Hunde, was weiß ich und Andrea las die Tafel und Großvater schwebte in einer zweiten Wolke vor ihm her. «Da willst du doch nicht leben?» Wie leicht lassen sich Menschen zu Paketen bündeln, ging es Andrea durch den Kopf, als er seine drei Cousins sah. Natürlich waren sie nicht die einzigen, aber er nannte sie nun mal so. Seit Jahren hingen sie an der Nadel, einer nach dem andern hat angefangen, sich das «H» durch die Venen zu lassen, und dem Arschloch Andrea fiel nichts anderes ein, als sie – seit er es wußte – seine «Cousins» zu nennen. Sein Großvater hatte das immer abgelehnt – aus Trauer. Diese Drogen. Als man noch mit ihm diskutieren konnte, lief er manchmal rot an – es war rot – und Großmutter klopfte ihm auf die Schulter, «Gell, Vati, wir nehmen dann eines von diesen...» – Wer kann sich schon all die Namen von Medikamenten merken? – «... dann geht’s bald wieder besser.» Einer von Andreas Onkels, zog bald den Zorn auf sich, als er im fortschreitendem Suff «alleandiewandstellen–verrreckenlassendaspack» brabbelte, und verdamm’ mich, dachte Andrea, niemand glaubt mir das und das soll auch noch ins Buch rein, ne!
Sie hatten auch keinen Bagger, gottseidank, fünfzig Rappen, und du darfst dich reinsetzten, Großvater hatte die ganze Beerdigung vorausgeplant, Abdankung, Todesanzeige. Für die Kinder waren die Ausflüge mit den Großeltern immer ein Schritt in Unbekanntes. Pilze, so giftig, daß du davon stirbst, machten sie sich auf, zu suchen. Großvater war ein vorsichtiger Mensch, der nur etwa zehn Sorten mit nach Hause nahm, obwohl er sofort immer wußte, welche Schwämme er vor sich hatte. Maronenröhrling, Reizker, Halimash, Grimms Wälder und Tausendundeinenacht. Im kleinen gelben Renault wurde Andrea nie schlecht. Quatsch gelogen. «Es zieht, es zieht!» Nie durfte man, die Fenster öffnen. Nein, noch schlimmer, hinten auf den Rücksitzen hatte es gar keine Fenster. Auch keine Türen, und als Andrea vom Steg in den Untersee fiel saß er einen halben Tag in nassen Hosen da. Die bekannte Schriftstellerin, die am Bodensee residierte, besuchten sie an einem heißen Sommertag. Liebend gerne wäre Andrea da in den See gefallen, spielend hätte er ihn leergetrunken. Die Schriftstellerin saß im Garten, schrieb nicht, sondern redete, redete, redete ... Nie mit Andrea. Eine Stunde, zwei Stunden, einen Nachmittag lang; nicht mal ein Glas Wasser gab’s für Andrea, und weil er kein Wasser trank mußte er nicht pissen, und durfte so nicht ins Haus, um nach dem Pinkeln Wasser zu trinken, und auch wenn er hätte pissen müssen, wäre er nicht gegangen, weil vor fremden Häusern hat man eine Scheu. «Wenn du Kirschen gegessen hast, darft du kein Wasser trinken, sonst müssen sie deinen Blinddarm rausschneiden.» Andrea wollte das nicht. Das Auto, sorgsam im Schatten geparkt, stand nun in der prallen Sonne. Nicht mal Wasser zum Rauskotzen, nur ein paar Kirschen. Steine. Kirschensteine scheißen ist lustig, aber oben rauskotzen? Lieber sterben! Andrea hielt durch bis zum Schluß und ließ dann zu Hause den ganzen Bodensee durch den Wasserhahn in sich hineinfließen. 
Auf dem Friedhof raucht man nicht, Stummel vor der Eingangstüre, eigentlich müssten sich bald die ersten Weidenkätzchen zeigen, die Übelkeit steckte Andrea immer noch in der Kehle; Weihwasserhahnen gab es nur im alten Friedhof im Dorf; er stellte sich immer einen riesigen Pott unten im Kirchenkeller vor mit 2000 Jahre altem, immer dicker werdendem Wasser
Andreas Bücher sind alle von toten Schriftstellern geschrieben worden. Damals als er am Bodensee am Dicherterinnen-Gartentisch saß, tauchte vor ihm Marc Twains Gesicht auf – rot, lustig, aber auch er hielt seine schützende Hand über das Wasserglas. «Denk an die Kirschen!» Heute auf dem Friedof trappten sie alle, einer Kolonne Kamele gleich im Trauerzug mit.
Eine Fußnote:
Die Dichterin von Bodensee schreibt jetzt auch mit dem Computer; weil dieser das Wort «Maturfeier» nicht kennt, schlägt er ihr «masturbieren» vor. Für diese Fußnote verbürge ich mich.

Felix Epper

 


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