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Maria
V|O|N|
F|E|L|I|X|
E|P|P|E|R
Wenn die Nonne auftaucht, gefriert die Zeit,
läuft dann ewig das Rückgrat auf und ab, und noch bevor
Madelaine fällt, schlägt das Herz in Erwartung des Fallens
einen Akkord, sendet bei jedem Schlag ein Bild ins Hirn: Schwester
Ignata – und die Schnelligkeit des Herzschlags nimmt zu – rollt
das Wort «Vorhaut» im Mund herum wie vor Abertausenden
von Jahren die Gletscher das Geröll. Findlinge zurücklassend
sie. Die Klasse von Achtjährigen stocksteif im Religionsunterricht.
«Ihr müsst lesen, nicht Fragen stellen.» Eines
der Mädchen, Maria, wird später Schwester Cäcilie,
flieht aus der ländlichen Dumpfheit – «Schau nicht den
Zwerg an wenn du in ERWARTUNG bist» –, Marias Bruder defloriert
eine unwissende Frau in der Hochzeitsnacht, doch Maria wird Cäcilie,
spielt manchmal Geige, reist kurz vor ihrem Tode – auch nach Madrid.
«Man liest die Bibel, aber stellt keine Fragen… Wasch den
Mund mit Seife…» Wenn das Mädchen dann weinend zusammenbricht,
macht Schwester Ignata einen Schritt zurück ins Unscharfe,
in den Bildhintergrund. Nichts muss mehr gesagt werden.
Meine Mutter hatte zwei Fehlgeburten und
gab mir ihren Lieblingsfilm mit fürs Leben. Nicht «VERTIGO,
Aus dem Reich der Toten», denkt es nun zwischen dem ersten
und zweiten Herzschlag, nicht Madelaine, das Gespenst, das auf die
Jahresringe des mächtigen gefällten Redwoodtree zeigt
– hier wurde ich geboren – – –, und hier bin ich gestorben,
sondern «ROSEMARIE’S BABY», auch da die Nonne als vermeintliche
Helferin, dabei nur Beihelferin zur Vergewaltigung, das Tanis-Amulett
schwenkend wie einen Weihrauchbesen oder –schwengel, sogar noch
die Suche nach Wörtern, während das Herz zum zweiten Schlag
rast und alles darin eingefroren wird, wie auf dem Gemälde
eines alten Meisters. Immer die eigene Hölle, die wir sehen,
der wir entfliehend zustreben. Der weite Raum über uns, das
Allerschrecklichste, nicht Gott noch Teufel, oben in diesem endlos
hohen Saal. Maria – ich hab sie immer Maria genannt, nie Schwester
Cäcilie, und ich hab sie geliebt – steht vor dem Bild. Maria
liebt die Kunst und schickt der Familie Postkarten, auf denen berühmte
Ölgemälde verkleinert reproduziert sind. Nur die gestochen
schöne Handschrift vor Augen jetzt, aus Francos Spanien, das
schreibt sie nicht, aber gestochen schön und «LAS MENINAS»
ist das Allerschönste, lese ich,
das Allerschönste auf der Welt.
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