Vielen Dank, für
Ihre Bereitschaft zu diesem Interview. Aber warum gelangen Sie erst jetzt
an die Öffentlichkeit?
Mein Frust trieb mich dazu.
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Ihr Frust?
Ja, so wie’s heute aussieht, schätzt niemand
meine Arbeit, obwohl ich den Job seit Jahrtausenden wahrnehme.
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Wieso denn? Was ist heute anders?
Man nimmt mich nicht mehr ernst. Statt mich so
zu nehmen wie ich bin, werde ich mit Lärm und Licht neutralisiert,
wie man so schön sagt.
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Wie meinen Sie das?
Sehen Sie, nur schon vor 100 Jahren begab man
sich mit bescheidenem Kerzenlicht zu Bett, sobald ich zu wirken begann.
Ich wurde akzeptiert, ohne Wenn und Aber. Doch heute beginnen die Menschen
erst zu leben, wenn es dunkel wird. Scheinwerfer gehen an, Fussballspiele
werden neuerdings erst um 21.00 Uhr angepfiffen und Leuchtschriften geben
mir – vor allem in den Städten - den Rest. Alles funkelt und glitzert
und wo bleibt meine Arbeit? Ich hab schon Autofahrer gesehen, denen nicht
mal mehr aufgefallen ist, ob sie mit oder ohne Licht fahren. Die sehen
mich gar nicht mehr.
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Nun, hat der Mensch nicht schon immer das
Nachtleben geliebt? Er sucht eben Geselligkeit.
„Ein
Nachtclub ist ein Lokal in dem die Tische reservierter sind als die Gäste“
soll Charlie Chaplin mal gesagt haben.
Witzig finde ich das nicht. Gut, in gewisser
Hinsicht gebe ich Ihnen Recht. Schon immer wurden Nachtlokale und dubiose
Veranstaltungen von Individuen besucht, doch das grosse Mehr schätzte
die Ruhe und die Romantik. Es gab Zeiten, da war ich am Drücker. Kaum
im Einsatz, stand alles still! Lesen Sie doch mal Johannes Kapitel 9, Vers
4: „Es kommt die Nacht, da niemand wirken
kann.“ Ob Handel und Krieg - nichts lief! Und das nur wegen mir. Ist das
nicht toll? Oder denken Sie an den Dichter Gryphius. Das ist nicht mal
so lange her, im 17. Jahrhundert war es. Sie können sich nicht erinnern?
Da zeigten die Menschen mir gegenüber noch Respekt! „Die
Nacht ist keines Menschen Freund“ schrieb er im Verliebten Gespenst.
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Ist es das, was man will? Unbeliebt auf
allen Seiten?
Ehrfurcht ist nicht Antipathie! Ricarda Huch
wusste noch, wie man über mich zu schreiben hat: „Uralter
Worte kundig kommt die Nacht;/ Sie löst den Dingen Rüstung ab
und Bande“. Oder nehmen Sie beispielsweise das ägyptische Sprichwort:
„Die
Rede der Nacht ist mit Butter getränkt: Wenn der Tag darauf scheint,
zerfliesst sie.“ Wer kann heute dem noch nachfühlen? Nach Rambazamba
und Technorausch wird ausgeschlafen bis Nachmittag. Von einer Romantik
der Dämmerung ist keine Rede mehr.
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Aber was wollen Sie denn? Dass während
Ihrer Arbeitszeit nichts mehr geht? Alles tot?
Sagen Sie, wann waren Sie zum letzten Mal um
Mitternacht im Wald? Hören Sie das Scharren der Dachse, die zirpenden
Grillen oder das Heulen der Eulen? In meiner Arbeitszeit lebt es, und wie!
Die Natur weiss noch, was sich gehört. Da ist noch Ordnung und Harmonie.
Bei den Kaffernadlern ist zum Beispiel üblich, dass das Weibchen die
ganze Nacht über auf den Eiern sitzt. Stellen Sie sich vor, was passierte,
wenn die auch noch den Tag mit mir verwechselten.
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Liebe Nacht, wir Menschen sind aber keine
Kaffernadler. Bei uns handelt es sich um eine Spezies, die mehr erreichen
will, als Eier ausbrüten.
Ich verlange nur mehr Beachtung für meine
Sache. Es geht nicht an, dass meine Mühen, die von Flora und Fauna
geschätzt wird, durch die „Krönung
der Schöpfung“ mit Gleichgültigkeit bestraft wird. Wenn’s mich
nicht gäbe, wäre Amerika nicht entdeckt worden.
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Wie bitte?
12. Oktober 1492.
„Tierra!
Tierra!“ rief der Matrose auf der Pinta während der Nachtwache! Nicht
am Vormittag und nicht am Nachmittag. Und Sie wollen mir weiss machen,
dass zu meiner Zeit nichts läuft.
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Jetzt wollen Sie mir nur noch sagen, dass
wir uns für all die nächtlichen Verkehrsunfällen, Flugzeugabstürze,
Einbrüche und dergleichen bedanken sollen. Das geht doch zu weit.
Einerseits bin ich Ihnen also zu langweilig und
andererseits möchten Sie nur die Art von Action bei der doch nichts
passiert. Ihr Menschen sind für uns ein Rätsel.
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Uns?
Ja. Schliesslich treffe ich mich regelmässig
mit dem Tag. Wir haben uns über Euch Erdbewohner unterhalten.
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Worüber denn?
Fusionen scheinen momentan bei Euch beliebt zu
sein. Nun, wir – also der Tag und ich – befinden uns in den Vorverhandlungen
bezüglich einer Fusion.
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Fusion?
Da Ihr Menschen mit Neigungen zum Diffusen behaftet
seit, wäre es doch angebracht, die Erde in eine stete Dämmerung
zu tauchen.
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Habt Ihr vielleicht schon einen Termin?
Das nicht, aber Sie werden es auf jeden Fall
merken.
*Urs H. Aerni ist Buchhändler,
Web-Redaktor und Leseförderer (Leseförderung Schweiz 4xL,
Bern)
http://www.4xL.ch/Aerni.htm |