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Lassen Sie es gut sein, Bancroft!

.|| V |o|n|| M i c h a e l|| || H a b e c k *

Bärtigen Taxifahrern begegnet man allerorten in den Metropolen Europas: in Prag, Athen oder London, oder auch in Übersee, beispielsweise im fernen New York. Sie tragen Spitzbärte, Backenbärte, Vollbärte, märchenhafte Zwergenbärte, Popenbärte, zierliche Musketierbärtchen, imposante Bärte mit verlängerten Kotletten, phantastische Gigolobärtchen, die Erfolg garantieren, üppige Kinn- vulgo Ziegenbärte, mysteriöse Gondolierebärtchen, tiefschwarze Anarchistenbärte, dünne Ludenbärtchen, die im Zwielicht mit der Nagelschere nachgestutzt werden, gezwirbelte Draufgängerbärte, fein zurechgeschnittene, spitz zulaufende, dandyhaft pomadierte, gewachste, zersaust anmutende. Kein Bart ist wie der andere, ist man geneigt zu behaupten oder dergleichen leichtfertig aufgestellte philosophische Sottisen zum Besten zu geben. Doch dann begibt man sich auf den unverrückbaren Grund der Wissenschaft, betreibt empirische Forschung, ersinnt komplizierte Klassifikationssysteme, entwirft eine erste, noch skizzenhafte Taxonomie der taxifahrenden Bärte. Aber: Hola! Vorsicht! Halt! möchte man dem ungestüm Spürenden zurufen, aller Spaß hört bei den Schnurrbärten auf, respektive ihren Trägern.

Man sitzt im Rücken eines solcherart Getarnten und unterdrückt den Drang, die Echtheit der buschigen Moustache zu überprüfen. Es verbieten der Anstand und die Liebe zum Leben, mit kaltblütiger Hand aus dem Heck-raum nach vorne zu greifen, um den sicheren Betrug aufzudecken. Taxifahrer mit angeklebten Schnauzbärten: man begegnet ihnen überall!
Und ist ihnen auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Sie gehen undurchsichtigen Geschäften nach, wie gefährliche Diamanten blitzen die Augen unter struppigen Brauen im Rückspiegel. Wird die Fahrt nicht immer schneller? Pocht es nicht vom Kofferraum her?

Klischees ist nur mit Klischees beizukommen, sagte er sich und rückte den Hut ein wenig tiefer in die Stirn. Hier ist er, auf einer Fahrt von Nirgendwo nach Nirgendwo, und am Steuer sitzt ein vierschrötiger Finsterling, alle Anzeichen aufweisend, die der Kundige zu deuten weiß, und malträtiert das Gaspedal. Zu spät bemerkte er, in wessen Hände er sich begab. Mit Denkermiene stieg er ins Vehikel, nicht auf den achtend, der dort am Steuer im Halbschatten sitzt. Tief in Gedanken ist er, als er: Taxi! ruft und mit einem schlanken Eschenholzstöckchen in der Luft herumficht. Und ist sofort wieder in sein Gedankenreich zurückgekehrt: grübelt über einer algebraischen Aufgabe, feilt an dem Sonnett, das ihm im Morgengrauen in den Sinn gekommen, riecht ein weiteres sehnendes Mal an jenem zartrosa Briefpapier, das ihren Duft verströmt, das ihre Handschrift ziert. Er hat keine Augen für den Fahrer, der das Gepäck allzu eilfertig im Kofferraum verstaut. Er läßt sich nieder und ihn, den er aus dem Seitenfenster nur bis zum Brustlatz sehen kann, die Wagentür zuknallen. Abwesend haspelt er den Namen eines Vororts daher und erst nach vielen weiteren Minuten schreckt er auf und bemerkt, wer ihn da durch die Straßen kutschiert.

Ein Blick und alles wird ihm klar, da sind sie schon auf Abwege geraten. Waren das nicht andere Gassen, die er weiland als Jüngling durchstreifte? Zweifel sind ausgeschlossen, und ihn bestrickt nicht einen Augenblick die läppische Hoffnung, mißverstanden worden zu sein. Möglich gewiß: man nuschelt in einer fremden Sprache einen Straßennamen und landet in einer düsteren Seitengasse. Durchaus denkbar, aber vollkommen ausgeschlossen für ihn, der dort hinten mit praller Geldbörse sitzt. Dunkel ist es geworden, Laternen schimmern in einem fadenscheinigen Licht, entvölkert sind die Straßen, und die Zeugenschaft qualmender Kanaldeckel ist nicht mal einen Pfifferling wert. Zu spät, zu spät - doch nicht für ihn.
Für ihn muß es nicht zum äußersten kommen. Im Grunde ist alles Wissen Illusion, argumentierte er schon als altkluges Wunderkind, umschart von den größten Geistern der Epoche, reiste durch die Metropolen Europas, von Coimbra bis Konstantinopel, und verwarf heimlich seinen Agnostizismus: Nein, hier galt es, auf einmal Erkanntes zu bauen, von Wissenschaft zu profitieren: Die Chauffeure trugen stets falsche Schnurrbärte, er saß auf der Rückbank und ihm im Nacken die Angst. Im Kofferrraum strampelte ein Leinensack voll zischelnder Kobras oder das geknebelte Entführungsopfer.

In dieser Posse obsiegt nur der Träger eines kühlen Kopfes, sagte er sich und räsonierte in Sekundenschnelle wie folgt: Allzu wahr, die Lage ist aussichtslos, das eigene liebe Leben baumelt über einem schwadenverschleierten Pfuhl voll maulaufsperrender Krokodile. Baumelt an einem seidenen Faden, dessen einzelne Fasern abplatzen wie bei einem im Allegro barbaro gestrichenen Kontrabaßbogen. Der Henrystutzen ist im komplizierten Gepäck verstaut. Aus Leichtfertigkeit ließ ich den Spazierstock mit inwendiger Samuraiklinge im ausgestopften Nashornfuß neben der Garderobe stehen. Die Phiole mit Juckpulver ging auf der letzten Kreuzfahrt flöten. Das Handbuch zur Selbstverteidigung steckt zwar ärschlings - dort auf Seite achtunddreißig ist ein Nackenschlag beschrieben, der den Getroffenen unweigerlich in Morpheus' Arme befördert oder bei allzu zupackender Anwendung gar ins Nirvana, doch wie war das teufelnocheins, mußte man den zweiten Halswirbel anpeilen oder auf den Truncus sympathicus zielen? Zu tief steckt das Büchlein in der Gesäßtasche, als daß umständliches Hevorkramen nicht die Absicht verraten würde und die in solchen Situationen stets kostbare Zeit noch rascher verrinnen ließe, denn nun wäre der Unkerl vorne gewarnt. Nein, eine im entspannten Konversationston geführte Unterhaltung wird mir Zeit geben, die nötigen Vorbereitungen zu treffen.

So beginnt er mit einem gutgläubigen Good evening!, Bonsoir!, Kalispèra! Diese Unterhaltung wird ihn als Ortsunkundigen entlarven. Nur knapp wird er durch eine nuancierte schrille Modulation der Stimme den Tonfall eines Weltmanns oder sonstigen Herrn der Lage verfehlen und so seine Nervosität offenbaren. Das gebrabbelte Kauderwelsch wird den Kerl dort am Steuer weiter in Sicherheit wiegen. Derweil gilt es sich zu sammeln. Der zweimalige Durchschwimmer des Lofotenstroms bemüht sich, alle Züge des ahnungslosen Greenhorns vorzugaukeln, und bricht beinahe schon in ein vorzeitiges Gelächter aus ob der Tölpelhaftigkeit des Menschenfressers im Cockpit.

Dann ist es soweit, der rettende Gedanke gefaßt. Ein Fluch schießt ihm durch die Schläfen: Zum Henker mit dem Mordbuben, wo Worte fehlen, müssen Taten sprechen! Muß kühne Tat retten, was zu retten ist - Schmetterlingsnetz, Mineraliensammlung, Nashornpulver hin oder her. Er reißt die Seitentür auf und wirft sich bei voller Fahrt aus dem Wagen. Sein Vater, der hobbymäßig Schausteller war, lehrte ihn die nötigen Kniffe, um einen solchen für jederman mit Genickbruch endenden Sturz zu überleben. So wie er als Knabe sich im Galopp vom Pferd fallen ließ, um dann am Boden elegant über die Schulter abzurollen, so kugelt er nun in einer Kurve über den Asphalt und landet schließlich in einer Phalanx aus Abfalltonnen. Schon steht er wieder, da verschwinden gerade die gelblichen Rücklichter wie Raubtieraugen in der Dunkelheit, und schlägt sich den Staub von der Tweedjacke. Er blickt sich nach unerwünschten Zeugen um und läuft dann in forschem Trab zurück zu seinem unbestimmte Meilen entfernten Hotel. Und als er losläuft, versäumt er nicht, den letzten Sonnenstrahl am Horizont zu erblicken, der das hereinbrechende Blauschwarz des Nachthimmels durcheilt wie ein Fanfarenstoß.

- Mylord, Sie wechseln die Objekte Ihres Interesses wie die wöchentliche Leibwäsche, wenn ich mir diesen ziemlich unziemlichen Vergleich gestatten darf.

- Er sei Ihnen gestattet, sagte er, aber da waren schon die leichten Schritte der Herrin seines Herzen am oberen Absatz der Marmortreppe zu vernehmen: doch nun lassen Sie es gut sein, Bancroft!


*Michael Habeck ist geboren 1973, Physikstudium, lebt und arbeitet in Tübingen.

 


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