Lassen Sie es gut sein,
Bancroft!
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Bärtigen Taxifahrern begegnet man allerorten in den
Metropolen Europas: in Prag, Athen oder London, oder auch
in Übersee, beispielsweise im fernen New York. Sie tragen
Spitzbärte, Backenbärte, Vollbärte, märchenhafte
Zwergenbärte, Popenbärte, zierliche Musketierbärtchen,
imposante Bärte mit verlängerten Kotletten, phantastische
Gigolobärtchen, die Erfolg garantieren, üppige Kinn-
vulgo Ziegenbärte, mysteriöse Gondolierebärtchen,
tiefschwarze Anarchistenbärte, dünne Ludenbärtchen,
die im Zwielicht mit der Nagelschere nachgestutzt werden,
gezwirbelte Draufgängerbärte, fein zurechgeschnittene,
spitz zulaufende, dandyhaft pomadierte, gewachste, zersaust
anmutende. Kein Bart ist wie der andere, ist man geneigt zu
behaupten oder dergleichen leichtfertig aufgestellte philosophische
Sottisen zum Besten zu geben. Doch dann begibt man sich auf
den unverrückbaren Grund der Wissenschaft, betreibt empirische
Forschung, ersinnt komplizierte Klassifikationssysteme, entwirft
eine erste, noch skizzenhafte Taxonomie der taxifahrenden
Bärte. Aber: Hola! Vorsicht! Halt! möchte man dem
ungestüm Spürenden zurufen, aller Spaß hört
bei den Schnurrbärten auf, respektive ihren Trägern.
Man sitzt im Rücken eines solcherart Getarnten und unterdrückt
den Drang, die Echtheit der buschigen Moustache zu überprüfen.
Es verbieten der Anstand und die Liebe zum Leben, mit kaltblütiger
Hand aus dem Heck-raum nach vorne zu greifen, um den sicheren
Betrug aufzudecken. Taxifahrer mit angeklebten Schnauzbärten:
man begegnet ihnen überall!
Und ist ihnen auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Sie gehen
undurchsichtigen Geschäften nach, wie gefährliche
Diamanten blitzen die Augen unter struppigen Brauen im Rückspiegel.
Wird die Fahrt nicht immer schneller? Pocht es nicht vom Kofferraum
her?
Klischees ist nur mit Klischees beizukommen, sagte er sich
und rückte den Hut ein wenig tiefer in die Stirn. Hier
ist er, auf einer Fahrt von Nirgendwo nach Nirgendwo, und
am Steuer sitzt ein vierschrötiger Finsterling, alle
Anzeichen aufweisend, die der Kundige zu deuten weiß,
und malträtiert das Gaspedal. Zu spät bemerkte er,
in wessen Hände er sich begab. Mit Denkermiene stieg
er ins Vehikel, nicht auf den achtend, der dort am Steuer
im Halbschatten sitzt. Tief in Gedanken ist er, als er: Taxi!
ruft und mit einem schlanken Eschenholzstöckchen in der
Luft herumficht. Und ist sofort wieder in sein Gedankenreich
zurückgekehrt: grübelt über einer algebraischen
Aufgabe, feilt an dem Sonnett, das ihm im Morgengrauen in
den Sinn gekommen, riecht ein weiteres sehnendes Mal an jenem
zartrosa Briefpapier, das ihren Duft verströmt, das ihre
Handschrift ziert. Er hat keine Augen für den Fahrer,
der das Gepäck allzu eilfertig im Kofferraum verstaut.
Er läßt sich nieder und ihn, den er aus dem Seitenfenster
nur bis zum Brustlatz sehen kann, die Wagentür zuknallen.
Abwesend haspelt er den Namen eines Vororts daher und erst
nach vielen weiteren Minuten schreckt er auf und bemerkt,
wer ihn da durch die Straßen kutschiert.
Ein Blick und alles wird ihm klar, da sind sie schon auf
Abwege geraten. Waren das nicht andere Gassen, die er weiland
als Jüngling durchstreifte? Zweifel sind ausgeschlossen,
und ihn bestrickt nicht einen Augenblick die läppische
Hoffnung, mißverstanden worden zu sein. Möglich
gewiß: man nuschelt in einer fremden Sprache einen Straßennamen
und landet in einer düsteren Seitengasse. Durchaus denkbar,
aber vollkommen ausgeschlossen für ihn, der dort hinten
mit praller Geldbörse sitzt. Dunkel ist es geworden,
Laternen schimmern in einem fadenscheinigen Licht, entvölkert
sind die Straßen, und die Zeugenschaft qualmender Kanaldeckel
ist nicht mal einen Pfifferling wert. Zu spät, zu spät
- doch nicht für ihn.
Für ihn muß es nicht zum äußersten kommen.
Im Grunde ist alles Wissen Illusion, argumentierte er schon
als altkluges Wunderkind, umschart von den größten
Geistern der Epoche, reiste durch die Metropolen Europas,
von Coimbra bis Konstantinopel, und verwarf heimlich seinen
Agnostizismus: Nein, hier galt es, auf einmal Erkanntes zu
bauen, von Wissenschaft zu profitieren: Die Chauffeure trugen
stets falsche Schnurrbärte, er saß auf der Rückbank
und ihm im Nacken die Angst. Im Kofferrraum strampelte ein
Leinensack voll zischelnder Kobras oder das geknebelte Entführungsopfer.
In dieser Posse obsiegt nur der Träger eines kühlen
Kopfes, sagte er sich und räsonierte in Sekundenschnelle
wie folgt: Allzu wahr, die Lage ist aussichtslos, das eigene
liebe Leben baumelt über einem schwadenverschleierten
Pfuhl voll maulaufsperrender Krokodile. Baumelt an einem seidenen
Faden, dessen einzelne Fasern abplatzen wie bei einem im Allegro
barbaro gestrichenen Kontrabaßbogen. Der Henrystutzen
ist im komplizierten Gepäck verstaut. Aus Leichtfertigkeit
ließ ich den Spazierstock mit inwendiger Samuraiklinge
im ausgestopften Nashornfuß neben der Garderobe stehen.
Die Phiole mit Juckpulver ging auf der letzten Kreuzfahrt
flöten. Das Handbuch zur Selbstverteidigung steckt zwar
ärschlings - dort auf Seite achtunddreißig ist
ein Nackenschlag beschrieben, der den Getroffenen unweigerlich
in Morpheus' Arme befördert oder bei allzu zupackender
Anwendung gar ins Nirvana, doch wie war das teufelnocheins,
mußte man den zweiten Halswirbel anpeilen oder auf den
Truncus sympathicus zielen? Zu tief steckt das Büchlein
in der Gesäßtasche, als daß umständliches
Hevorkramen nicht die Absicht verraten würde und die
in solchen Situationen stets kostbare Zeit noch rascher verrinnen
ließe, denn nun wäre der Unkerl vorne gewarnt.
Nein, eine im entspannten Konversationston geführte Unterhaltung
wird mir Zeit geben, die nötigen Vorbereitungen zu treffen.
So beginnt er mit einem gutgläubigen Good evening!,
Bonsoir!, Kalispèra! Diese Unterhaltung wird ihn als
Ortsunkundigen entlarven. Nur knapp wird er durch eine nuancierte
schrille Modulation der Stimme den Tonfall eines Weltmanns
oder sonstigen Herrn der Lage verfehlen und so seine Nervosität
offenbaren. Das gebrabbelte Kauderwelsch wird den Kerl dort
am Steuer weiter in Sicherheit wiegen. Derweil gilt es sich
zu sammeln. Der zweimalige Durchschwimmer des Lofotenstroms
bemüht sich, alle Züge des ahnungslosen Greenhorns
vorzugaukeln, und bricht beinahe schon in ein vorzeitiges
Gelächter aus ob der Tölpelhaftigkeit des Menschenfressers
im Cockpit.
Dann ist es soweit, der rettende Gedanke gefaßt. Ein
Fluch schießt ihm durch die Schläfen: Zum Henker
mit dem Mordbuben, wo Worte fehlen, müssen Taten sprechen!
Muß kühne Tat retten, was zu retten ist - Schmetterlingsnetz,
Mineraliensammlung, Nashornpulver hin oder her. Er reißt
die Seitentür auf und wirft sich bei voller Fahrt aus
dem Wagen. Sein Vater, der hobbymäßig Schausteller
war, lehrte ihn die nötigen Kniffe, um einen solchen
für jederman mit Genickbruch endenden Sturz zu überleben.
So wie er als Knabe sich im Galopp vom Pferd fallen ließ,
um dann am Boden elegant über die Schulter abzurollen,
so kugelt er nun in einer Kurve über den Asphalt und
landet schließlich in einer Phalanx aus Abfalltonnen.
Schon steht er wieder, da verschwinden gerade die gelblichen
Rücklichter wie Raubtieraugen in der Dunkelheit, und
schlägt sich den Staub von der Tweedjacke. Er blickt
sich nach unerwünschten Zeugen um und läuft dann
in forschem Trab zurück zu seinem unbestimmte Meilen
entfernten Hotel. Und als er losläuft, versäumt
er nicht, den letzten Sonnenstrahl am Horizont zu erblicken,
der das hereinbrechende Blauschwarz des Nachthimmels durcheilt
wie ein Fanfarenstoß.
- Mylord, Sie wechseln die Objekte Ihres Interesses wie die
wöchentliche Leibwäsche, wenn ich mir diesen ziemlich
unziemlichen Vergleich gestatten darf.
- Er sei Ihnen gestattet, sagte er, aber da waren schon die
leichten Schritte der Herrin seines Herzen am oberen Absatz
der Marmortreppe zu vernehmen: doch nun lassen Sie es gut
sein, Bancroft!
*Michael Habeck ist geboren 1973, Physikstudium, lebt und
arbeitet in Tübingen.